Um die vorige Jahrhundertmitte und nach der Materialknappheit der Kriegsjahre fuhr in die skandinavische Textilindustrie ein frischer Wind. Für die Entwurfstätigkeit wurden junge DesignerInnen engagiert, die weniger an dem anknüpften, was vor Kriegseinbruch im Textilbereich üblich gewesen war, sondern statt dessen Neues ausprobierten. Die Stoffe sollten zum neuen Möbel- und Baustil passen, der schon damals unter dem Begriff „Scandinavian Modern“ populär war.
Ganz typisch für die 50er Jahre waren grafische Muster. Einigen sieht man die Nähe zur konstruktivistischen Kunst an.
Kooperativa Förbundet KF sorgte mit den KONSUM-Läden nicht nur für geregelte Lebensmittelpreise sondern führte auch Hausrat (z.B. mundgeblasene Trinkgläser im 6er-Karton, Besteck von Sigurd Persson,…) Wohntextilien und Meterware. Hier ein zeittypischer Stoff namens Sienna, den die schwedische Textildesignerin Göta Trägårdh (1904-1984) für KF entwarf:
Göta Trägårdh hatte die Tekniska Skola in Stockholm besucht und nahm im Alter von 21 Jahren die Stelle einer Modezeichnerin für ein Monatsmagazin an. Sie entwarf Stoffe für viele namhafte Textilfirmen wie etwa Stobo oder Gamlestadens (*) Schon früh waren ihre Arbeiten stilbildend und prägten nachfolgende Generationen von TextildesignerInnen. Typisch für ihre Arbeit waren die „Bleistiftstriche“ auf ihren Stoffen – etwa Symphonie und Japan (beide für Stobo), oder das schwungvollere Dessin Rapid (für Borås Wäfveri).
Von meiner schwedischen Kollegin Maria Jernkvist, die in Stockholm lebt und den Blog http://prylodesign.blogspot.co.at/ betreibt, kommt dieses Foto, Göta Trägårdhs Stoff Symphonie für Stobo:
Viele Stoffproduzenten nahmen diesen neuen Stil der zarten Linien, gerade oder geschwungen, auf. Grafische Muster waren aus den Stoffabteilungen nicht mehr wegzudenken.
Von Birgitta Dahlström (S) gibt es etwa für das schwedische Textilunternehmen farma diesen Entwurf, der trotz aller Ungegenständlichkeit den Titel Mångata (Mondstraße) erhalten hat:
… man erahnt die lang über dem nächtlichen See liegende Spiegelung des Vollmondes. Der Stoff wurde von Hand bedruckt.
Heute arbeitet Birgitta Dahlström als Textilkünstlerin.
Ein unbekannter, zeittypischer Entwurf in Gelbtönen:
Auch das Textilunternehmen Mölnlycke AB produzierte Stoffe dieser Art, wie diese Aufnahme aus der Fabrik zeigt (Foto von K W Gullers aus dem Buch „Made in Sweden“, 1964):
Marianne Westman (*1928, S) ist in Schweden v.a. für ihr Tafelporzellan bekannt – Picknick für Rörstrand ist wahrscheinlich ihr bekanntester Entwurf. Außerdem war sie als Keramikerin tätig, entwarf Glas und arbeitete als Textildesignerin. Gemeinsam mit ihrer Schwester Inga-Lill Westman betrieb sie in ihrer Heimatstadt Falun Westmans textilateljé. Dort wurde dieser schöne Entwurf von Hand gedruckt, ein Platzdeckchen aus gewebtem Leinen, der Druck heißt Pickepin:
Ebenfalls aus dem eigenen Textilatelier stammt dieser Leinendruck namens Mambo:
Etwas konkreter wird es hier bei diesem Platzdeckchen mit Fischmotiv. Außer einem „S“ als Signatur am Rand gibt es allerdings keine Hinweise auf die/den UrheberIn:
Eine weitere einflussreiche Textilkünstlerin war Astrid Sampe (1909-2002, S). Sie entwickelte eine neue, zeitgemäße Leinen-Linie (Linnelinjen) für NK:s Textilkammare, die von Almedahls gewebt und gedruckt wurde. Das obere der in Form 1955/4-5 abgebildeten Platzdeckchen namens Negroni nimmt Anleihen bei Mondrian:
Die Produktivität der DesignerInnen damals war hoch. Die meisten der Textilfabriken hatten ein großes Repertoire an ganz aktuellen Dessins, die in eher kleinen Auflagen gedruckt wurden. Dies schuf für viele der Firmen trotz zahlreicher Preise und Medaillen ökonomische Probleme, da die neuen und günstigeren Synthetikstoffe und -kleidungsstücke eine starke Konkurrenz wurden.
Viele der historischen Stoffe sind nur schwer aufzutreiben. Aber es gibt ja Abbildungen! Werbeinserate und Beiträge aus der schwedischen Designzeitschrift Form geben auch gleich einen Eindruck der damals aktuellen Werbegrafik und Produktfotografie:
Form 1955/8-9: Ebenfalls von Astrid Sampe und ebenfalls für NK wurde der Teppich mit der Bezeichnung Vattring (Wässerung – ein Spiel mit der schwedischen Bezeichnung für Moiré) entworfen:
Form 1955/7: Drei Stoffentwürfe der Designerin Anna Greta Söderlund für Ditzingers mit den Bezeichnungen Alger (Algen), Linjer und Kongo:
Form 1955/1: Stobo textil stellte in diesem Inserat drei Stoffentwürfe vor: Stim (Fischschwarm) von Karl Axel Pehrson, Wig-Wam von Lynge Ahlberg und Kvarteret X von Inez Svensson:
Form 1955/7: Gamlestadens präsentierte einige der damaligen Herbst-Neuheiten:
Auch an den Wänden wurde gestrichelt:
Form 1955/2: Von der finnischen Textildesignerin Viola Gråsten (1910-94) stammt der Tapetenentwurf G-Sträng für Duro Tapeter:
Form 1955/8-9: Lotura-Tapeten namens Tumstock (Zollstab) von Marianne Mandelius bzw. Persienne von Margareta Sandberg-Hög:
1955/3: Lotura-Tapeten namens Kosmos:
Linien waren auch in den Glasstudios ein herausforderndes Thema:
Form 1955/3: Vicke Lindstrand experimentierte intensiv mit Linien im Glas – als Gravur oder wie hier, in die Glasmasse eingearbeitet:
Das Original zum Werbefoto:
Form 1961/9: Von Vicke Lindstrand stammen auch diese Prisma genannten Glasobjekte, die trotz einfacher Form extrem mit der hohen Lichtbrechungsfähigkeit von Bleikristall spielen:
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(*) Gemeinsam mit Anders Beckman gründete Trägårdh 1939 Beckmans Skola för Reklam och Mode (Beckmans Schule für Werbung und Mode) in Stockholm. Sie unterrichtete dort Musterkomposition und Modezeichnen. Später war sie für die Textilfirma Gefle Ångväveri (Gävle/S, 1862-1958) beratend und entwerfend tätig. Berühmt wurde sie mit ihren Stoffen, die sie als künstlerische Leiterin des Textilunternehmens Stobo AB (Stockholms Bomullspinneri AB, Stockholm/S, 1898-1979) von 1954-64 entwarf. Außerdem war sie bei Tuppen Textil (eigentlich Norrköpings Bomullsväfveri AB, S, 1852-1961) und Gamlestadens Fabriker AB (Göteborg/S, gegr. 1891, ca. 1967 geschlossen; Tuppen ging 1961 in Gamlestadens AB auf. Gamlestadens Fabiker begann im 19. Jahrhundert mit gewebter Baumwolle und Fischernetzen.) künstlerisch beratend und entwerfend tätig, und entwarf auch für Strömma (Karlshamn/S, 1831-1970er). Ihre letzten fünf Lebensjahre arbeitete sie als Freelancerin für Borås Wäfveri.