Klarglas – farbloses Glas. Die einfachste Form von Glas? Nein. Bis Glas glasklar oder kristallklar ist und nicht mehr farbig wirkt, bedarf es vieler Zusätze und Arbeitsschritte. Im Folgenden geht es um den glastechnischen State of the Art in Schweden Mitte der 1940er Jahre (1). Spätere Glasproduktion unterscheidet sich teilweise sehr stark von dem, was damals üblich bzw. möglich war.
Glas ist ein amorpher Feststoff, thermodynamisch betrachtet eine gefrorene unterkühlte Flüssigkeit. Die inneren Strukturen ähneln kristallinen Netzwerken, sind aber regellos.
Der Hauptbestandteil von Glas ist Sand. Mit seinem kristallinen Gitteraufbau spielt er die tragende Rolle bei der stabilisierenden Netzwerkbildung. Trockener Quarzsand besteht beinahe zu 100% aus Siliziumdioxid (SiO2). Außerdem enthält er immer auch Verunreinigungen in Form von Metalloxiden. Die in Schweden vorkommenden Sandhttp://designqvist.at/wp-admin/post.php?post=4562&action=edite enthielten etwa 0,5-1% Verunreinigungen. Ein Teil davon war Eisenoxid (Fe2O3), das die Glasmasse entweder grün oder gelbgrün färbte. Vom Mittelalter bis ins 17. Jhdt. konnte Glas noch nicht entfärbt werden und hatte daher immer einen Grünstich.
Die zweite wichtige Zutat war ein basischer Stoff: Soda (Natriumkarbonat, Na2CO3) oder Natriumoxid (Na2O) wurden für Natron-Kalk-Glas eingesetzt, Pottasche (Kaliumkarbonat, K2CO3) für Kali-Kalk-Glas. Diese Stoffe waren als Netzwerkwandler und den Schmelzpunkt senkende Flussmittel wirksam.
Pottasche war relativ teuer. Natriumoxide verbanden sich nicht direkt mit dem Siliziumdioxid, sondern bedurften der Zugabe von Kohlenstoff. Dieser wiederum verfärbte die Glasmasse gelbbraun oder führte an der Glasoberfläche zur sog. Glasgalle (= eine Art Schlackenschaum. Glasgalle greift die tönernen Schmelztiegel an, löst darin enthaltene Eisenpartikel und verfärbt dadurch die Glasmasse – schon wieder! – grün.).
Soda war also am gängigsten. Ursprünglich wurde Soda aus der Asche verbrannter Meeres- oder Strandgewächse gewonnen. Die seit Ende des 19. Jahrhunderts übliche Sodaherstellung basierte auf Kochsalz, das jedoch in Schweden nur in geringen Mengen vorkam. Und eine Aufbereitung vom doch reichlich vorhandenen Meereswasser, das aber einen relativ geringen Salzanteil hat, wäre zu aufwändig gewesen, Soda wurde also überwiegend importiert. Materialknappheit während der Kriegsjahre machte auch Soda rar, weshalb Natriumbikarbonat (NaHCO3) an dessen Stelle eingesetzt wurde.
Natron-Kalk-Glas (oder Sodaglas) war das optisch anspruchslosere Gebrauchsglas für den Alltag.
Sand und Soda alleine reichten für eine sinnvolle Gebrauchsglasherstellung jedoch nicht, da diese Art von Glas sehr angreifbar etwa durch Wasser oder Säuren geblieben wäre. Daher wurde Kalk zugesetzt, anfangs oft gebrannter Kalk (Kalziumoxid, CaO), ab den 1940ern fast ausschließlich Kalziumkarbonat (CaCO3), das aus gemahlenem Kalkstein oder Marmor gewonnen wurde. Auch dieses enthielt Spuren von Eisenoxid und anderen Verunreinigungen.
Für hochwertiges, kristallklares Glas wurde dem Sand-Pottasche-Gemenge an Stelle von Kalk Bleioxid (Pb3O4, auch Mennige genannt) beigemischt. Blei verlieh dem Bleikristall die charakteristische, sehr hohe Lichtbrechungsfähigkeit. Die teurere Pottasche sorgte zudem für schöneren Glanz und war Bleikristall, Halbkristall und optischen Gläsern vorbehalten.
Ann Marie Herlitz-Gezelius (2) schlüsselt die Zusammensetzung der bei Orrefors üblichen Glasarten folgendermaßen auf:
Sodaglas:
73% Sand, 8% Kalk, 17% Soda, 2% anderes Material. Wenig beeindruckender Klang, weniger kratzempfindlich als Kristallglas da weit härter, ergo schwerer schleifbar.
Kristallglas (= Bleikristall):
55% Sand, 30% Mennige, 13% Pottasche, 2% anderes Material. Kristallglas ist sehr schwer, hat einen vollen Klang, ist weich, kratzempfindlich, gut schleifbar, mit hoher Lichtbrechungsfähigkeit und kristallklarer Brillanz.
Halbkristallglas:
unterliegt keinen exakten Mischverhältnissen und ist ein Zwischending zwischen Kristall- und Sodaglas. War üblich an vielen kleineren schwedischen Glashütten.
So weit zu den Grundzutaten. Aber was tun mit der leidigen, eisenbedingten Braun- oder Grüntönung der Glasmasse?
Für die Herstellung von Klarglas wurde die leichter zu entfärbende gelbgrüne Tönung angestrebt. Sie konnte mit Hilfe von erhöhter Luftzufuhr und/oder Beigabe von Salpeter erreicht werden. Zur Entfärbung der so erhaltenen gelbgrünen Glasmasse wurden diverse Stoffe beigemengt (die – paradoxerweise, dabei aber gezielt steuerbar – auch eine glasfärbende Wirkung haben können):
Manganoxid (MnO2, Braunstein): Entfärbungsmittel. Färbt violett oder braun.
Nickeloxid (NiO2): Besonders zur Entfärbung von Bleikristall oder Halbkristall. Färbt purpurfarben.
Kobaltoxid (Co3O4): Entfärbende Wirkung nur in Kombination mit Braunstein, Nickeloxid oder Selenverbindungen. Stark blaufärbend.
Selen (Se): Ein wirksames Entfärbungsmittel, das dem Glas einen schönen Glanz verlieh. Nachteil: Benötigte sehr konstante Schmelztemperatur, da sonst eine Überfärbung die Folge war (was durch Mitkochen eines Stückchens Arsenik wieder neutralisiert werden konnte). Je nach Zusammensetzung der Glasmasse färbt Selen rot (Selenrubinglas), orange, braun oder rosa (Rosalinglas).
In welcher Dosis welcher Stoff beigemengt wurde, hing von der chemischen Zusammensetzung des Grundgemenges ab. Alle Substanzen reagierten miteinander und ergaben entsprechende Farbtöne. Auch Temperatur, Sauerstoffzugabe, etc. beeinflussten die Farbe. Grundsätzlich hob man unerwünschte Farbstiche durch komplementäre Farben auf. Je stärker die ursprüngliche Grundfärbung, desto höher mussten die entfärbenden Stoffe dosiert werden. Das ergab dann zwar ein farblos wirkendes Glas, jedoch erschien es zunehmend dunkler.
UV-Einwirkung über eine lange Zeit kann älteres, entfärbtes Natron-Kalk-Glas durch den sog. Solarisationsprozess verfärben. Eine Reaktion zwischen Arsenik, Eisen, Selen oder Manganoxid kann das Glas z.B. gelblich, grünlich oder leicht violettstichig tönen. Kristallglas ist durch den Bleigehalt vor Verfärbung geschützt.
Die benötigten Zutaten – Sand, Soda oder Pottasche, Kalk oder Blei, sowie entfärbende Stoffe – wurden als Gemenge in der Rauschmelze bei 1400 °C oder mehr geschmolzen und zu einer einheitlichen Glasmasse homogenisiert. Das dauerte, und in den Anfangszeiten der Glasproduktion wurden die Schmelzöfen ja noch mit Holz befeuert (3) – kein Wunder also, dass sich das schwedische sog. Glasreich (Glasriket) im waldreichen Småland etablierte.
Um ein Glasgemenge zu erhalten, das nicht nur farblos war, sondern auch frei von winzigsten Luftbläschen, wurde es im Läuterungsvorgang von Gaseinschlüssen befreit. Dies geschah v.a. bei Bleikristall und Halbkristall durch Beimengung von Arsenik (As2O3). Bortrioxid (B2O3, Borsäure) als Flussmittel erleichterte die Läuterung, indem die Schmelzbarkeit des Glases erhöht wurde und Viskosität sowie Oberflächenspannung herabgesetzt wurden, wodurch die bei der Schmelze entstehenden Gasbläschen leichter entweichen konnten.
In einem weiteren Schritt wurde die homogenisierte, entfärbte und geläuterte Schmelze herabgekühlt auf die gewünschte Formgebungstemperatur.
Liest man heute die alten Fachpublikationen über Glasherstellung, stößt man andauernd auf giftige, gesundheitsschädliche und die Umwelt belastende Stoffe: Arsenik, Blei, Cadmium, Chrom, Kobalt, Nickel,… Die Wirkungen dieser Stoffe waren damals wenig oder nicht bekannt. Sie wurden wie andere Rohstoffe eingesetzt, was bei einigen Glaswerken verseuchtes Erdreich zur Folge hatte. Viele Glashütten mussten daher in den vergangenen Jahren das Erdreich rund um ihr Werk austauschen.
Als Beimengung im Glas, also in stabiler, gebundener Form, sind die Stoffe nach heutigen Erkenntnissen aber unbedenklich.
Literatur:
(1) Stiftelsen Glasinstitutet i Växjö. Medlemsskrift n:r 1, Januari 1946
(2) Orrefors. Ett svenskt glasbruk. Ann Marie Herlitz-Gezelius, Atlantis 1984
(3) i Glasrike. Bertil Palmqvist, Natur och Kultur, 1979