Ist ein Land gesegnet mit reichlich Erzvorkommen, einer langen und nach wie vor hochgeschätzten Handwerkstradition, dem pragmatisch-strengen und gleichzeitig sinnlichen Designverständnis der Nordländer, und – nicht unwesentlich in diesem Fall – den langen Winternächten mit wenig Tageslicht (gesegnet?), dann kann das schöne Folgen haben.
Messing ist eine Legierung aus Kupfer und Zink, eventuell mit weiteren Beimengungen wie etwa Zinn oder Blei. Je höher der Zinkgehalt, desto hellgelber bis fast silbern wird das Ergebnis. Messing ist durch die Zinkbeigabe etwas härter als pures Kupfer, aber weicher als Bronze. Der Zinkanteil beeinflusst auch den Schmelzpunkt – mehr Zinkbeigabe verringert den Schmelzpunkt. Ein gängiges Mischungsverhältnis für die hier behandelten Objekte war 65% Cu und 35% Zn.
Unter den nordischen Staaten ist vor allem Schweden reich an diesen Erzen, die sich in der legierten Messingform vielfältig bearbeiten lassen: Gießen, drehen, fräsen, pressen und walzen, löten, treiben. Viele Messinghersteller siedelten sich nicht allzu weit von Kupferabbau, Wasserkraft und Wald für die Holzkohlegewinnung an. Falun in Dalarna (südliches Mittelschweden) bot etlichen Messingwerken (Skultuna, Kolbäck, Gusum,…) das benötigte Kupfervorkommen, den Wald und das Wasser gab es im Umland.
Ein Grund für Schwedens sehr intensive Messingproduktion im frühen 17. Jahrhundert waren hohe Staatsschulden, die sich unter Gustav Vasa und Erik IV. akkumuliert hatten. Zudem kam das Problem der „Ablöseforderungen“ der Dänen, die die aus dem 14. Jahrhundert stammende und strategisch wichtige Burganlage Älvsborg vor Göteborg besetzt hielten und für die Freigabe viel Geld verlangten. Da nun also Schweden so viel Kupfer abbaute, dass es mehr als genug für den Eigenbedarf hatte und ohnehin schon Europa damit belieferte, entstand der Plan, qua Veredelung zu Messing noch mehr Exporteinnahmen zu lukrieren. Es wurden in der Folge Betreiber für Messingwerke gesucht und gefördert – mittels Steuererleichterungen, Befreiung von den sonst üblichen Pachtabgabgen, Nutzungsrechten für Wasserkraft, Zusatzprivilegien, etc. Klare Sache: Förderung von Startups aus Staatsräson. Die Sache funktionierte ganz gut, ist heute aber Geschichte. (1)
Die hier gezeigten Kerzenhalter sind nur eine Auswahl aus der schier unendlichen Vielfalt an Messingobjekten, die nordische Handwerker und DesignerInnen im vergangenen Jahrhundert entworfen und hergestellt haben. Erfreulicherweise ist diese Tradition nach wie vor lebendig und wird von jüngeren DesignerInnen sehr fruchtbar weitergetragen.
Hersteller und DesignerIn unbekannt…
…aber auf jeden Fall Made in Sweden – der Margareta genannte, wandelbare Kerzenhalter für Christbaum- oder andere entsprechend dünne Kerzen:
Für die lange Tafel empfiehlt sich das Ausziehen des Kerzenhalters…
Auch Figuren sind möglich, etwa ein Rechteck:
Der Clou an diesem Teil ist nämlich der abschraubbare Kerzenhalter am einen Ende:
Und weil der gegebene Anlass dafür quasi vor der Tür steht, lässt sich auch ein weihnachtlicher Stern formen:
Lars Holmströms Konstsmide in Arvika
Lars August Holmström (1894-1959) entstammte einer südschwedischen Familie, deren Männer schon seit mehreren Generationen Hufschmiede waren, und mit diesem Beruf begann ursprünglich auch Lars Holmström seine Laufbahn. Ein schwerer Arbeitsunfall (Pferdetritt) ließ ihn „umsatteln“, er zog nach Haga bei Arvika nördlich des Vänern-Sees nahe der norwegischen Grenze, wo er 1921 seine eigene Kunstschmiede gründete. Schon 1925 erregte er bei der Pariser Weltausstellung mit seinen Kerzenhaltern aus Messing und Silber einiges Aufsehen.
Holmström schuf Kandelaber, Leuchten, Schalen, Tabletts, Portale,… für Kirchen u.a. in Göteborg, Stockholm, Uppsala, produzierte aber auch für den weltlichen Markt.
Später wurde die Schmiede nach Dottevik bei Arvika verlegt und 1958 von Holströms langjährigem Mitarbeiter Yngve Svensson übernommen. Diesem wiederum folgte sein Sohn Per-Inge Svensson. Dessen Tod 2012 bedeutete das Ende für Holmströms Kunstschmiede.
Ein besonders zarter Entwurf Holmströms ist dieser Kerzenleuchter für sieben Kerzen:
Johan Dahlberg für Landskrona Mässing
In Landskrona nahe Malmö in Südschweden befand sich das Landskrona Mässingverk. Weder Firmendaten noch involvierte DesignerInnen konnte ich ausfindig machen und die hier abgebildeten Kerzenhalter auch nur über ihre bedruckte Originalschachtel dem Hersteller zuordnen, denn sie sind ungemarkt (Nachtrag Mai 2017: In der Zwischenzeit weiß ich, dass Johan Dahlberg diese Kerzenhalter in den 1970er Jahren entwarf). Sie sind zwischen 2 und 5 cm hoch und für dünne Kerzen geeignet:
…was zu netten kleinen Spielereien einlädt.
Die höheren Modelle sind beidseitig für Kerzen angebohrt:
Dieselben Formen gab es auch in XL für Stabkerzen.
Hans-Agne Jakobsson AB in Markaryd
Mit Hans-Agne Jakobsson (1919-90) und seiner Firma Hans-Agne Jakobsson AB i Markaryd bekam Markaryd ein sehr produktives Unternehmen. Jakobsson stammte von der Insel Gotland, wo er eine Möbeltischlerlehre absolvierte. Er studierte Architektur, war für General Motors als Industrial Designer und für Carl Malmsten als Möbeldesigner tätig. Leuchten entwarf er nebenbei, und da niemand seine Entwürfe umsetzen wollte, gründete er 1951 seine eigene Firma in Markaryd in Südschweden.
Er entwarf unzählige Wand-, Tisch-, Decken- und Bodenleuchten. Gemeinsam ist seinen Leuchten das weiche Licht, da er geschickt mit abblendenden, streuenden Lamellen arbeitete. Unter seinen Entwürfen befinden sich viele Klassiker. Zum Beispiel die Holzspanleuchten: Sie waren eigentlich ein Zufallsprodukt, denn Jakobsson brauchte für ein Schaufenster in seinem Geschäft eine passende, milde Beleuchtung. In Ermangelung einer besseren Lösung fächerte er aus breiten Holzspänen ein paar Lamellen über eine Glühbirne. Als ein Passant hereinkam und fragte, wieviel denn die Leuchte im Schaufenster koste, trat sozusagen der Fall ein, dass die Nachfrage die Produktion überhaupt erst in Gang setzte, und das mit weltweitem Erfolg und zahllosen Plagiaten. (2)
Aber zurück zum schwereren Material, um das es hier ja gehen soll. Außer Beleuchtungskörpern kreierte Jakobsson viele Kerzenhalter. Einige davon finden Sie hier abgebildet.
Echte Miniaturen sind diese in einem Stück gegossenen bzw. teils aus 2 gefrästen und verschraubbaren Teilen bestehenden Kerzenhalter.
Das Modell mit der Bezeichnung L92 etwa setzt sich aus dem gegossenen Unterteil und einem eingeschraubten Röhrchen zusammen:
Modell L97 sieht auf den ersten Blick am simpelsten aus…
…ist aber wieder einmal eine stapelbare Sache und daher sehr wandelbar, wenn mehrere Stück davon vorhanden sind:
Ebenfalls aus einem Stück gegossen ist Modell L98:
Modell L125 greift das Thema der hexagonalen Grundform auf, das auch viele andere Hersteller interpretiert haben wie etwa Gusum (siehe weiter unten):
Metallslöjden Gusum
Das Werk wurde im Sinne der Staatsschuldensanierung um 1610 in Gusum gegründet, fiel einem Brand zum Opfer, wurde wieder aufgebaut und produzierte im 19. Jahrhundert neben Gebrauchsgegenständen auch Ösen und Haken sowie Reissverschlüsse. Letzteres ab den 1930ern in einem Ausmaß, dass Gusum für viele Schweden und Schwedinnen gleichbedeutend mit Reissverschluss war.
Heute ist das Unternehmen in stark veränderter Zusammensetzung, an anderem Ort und unter dem Namen Nordic Brass Gusum eines der produktivsten und bekanntesten unter den nordischen Messingproduzenten.
Wer hinter diesem Entwurf steht, ist mir nicht bekannt, gefertigt wurde der für Stabkerzen geeignete Kerzenhalter 1981 von „L. K.“:
anonymer Sechskanter
Hier folgt ein anonymes Stück mit hexagonaler Basis und kreisrundem Oberteil, ebenfalls für Stabkerzen geeignet:
Ystad Metall
Ystad liegt ganz unten an der südlichsten Spitze Schwedens, ein kleines Küstenstädtchen, das vielen seit Henning Mankells Kriminalromanen ein Begriff ist.
1919 wurde die AB Ystads Metallindustri gegründet und erlebte v.a. um die Jahrhundertmitte einen starken Aufschwung. Das lag wohl auch daran, dass gute DesignerInnen für die Entwürfe engagiert wurden, so etwa Gunnar Ander (1908-1976), Hugo Gehlin (1889-1953), Ivar Ålenius-Björk (1905-1978) oder Wiwen Nilsson (1897-1974). Ålenius-Björks Lilja (= Lilie) ist vermutlich der bekannteste Entwurf in der Produktionsgeschichte von Ystad Metall.
1969 wurden Ystad Metall und Mitab in Karlskrona unter dem neuen Namen Skandia present AB zusammengelegt.
Gunnar Ander ist hier am Blog schon des öfteren als Glasdesigner vorgekommen, doch war er also auch dem Metall zugeneigt. Hier einige seiner Kerzenhalter. Jene aus Messing können mit den Glasmanschetten (in blau, farblos, fliederfarben) oder ohne verwendet werden. Abgebildet sind nur zwei Variationen des Modells, es gab noch etliche mehr.
Die Bodenplatte war mit Gunnar Anders Initialen und dem Herstellernamen versehen:
Ebenfalls Gunnar Ander zugeschrieben ist dieser schwarzlackierte Kandelaber mit Kupferdetails (ein Ausreisser hier in meinem Messing-Posting, ich weiß…):
Arthur Pe Kolbäck
Arthur Pettersson (*1919) ist der Mann hinter diesen Entwürfen, und er lebt in Kolbäck nördlich des Mälarsees, nicht allzu weit von Stockholm.
Er stammt aus einer Bauernfamilie und begann mit 14 Jahren als Mechaniker zu arbeiten. Nach Abschluss seiner Ausbildung zum Werkstattmechaniker arbeitete er als Dreher. U.a. war er für Skultuna Messingbruk tätig. 1952 eröffnete er seinen eigenen Betrieb unter dem Namen Arthur Petterssons Mekaniska Verkstad. Dort kreierte er (und kreiert er noch) teilweise sehr schöne, schlichte Kerzenleuchter, die in Variationen die Kreisform einsetzen. (3)
Hier eine Auswahl seiner Kerzenhalter für dünne Kerzen:
Bei diesem Modell ist die Tropfmanschette lose und daher – bei tropffreien Kerzen – nicht zwingend:
Gemarkt waren Petterssons Werkstücke wie folgt:
Für die Wandmontage schuf er sehr schöne Kerzenpendel für dünne Kerzen:
Sie spielen mit dem gyroskopischen Prinzip, das auf Segelschiffen für Kerzenhalter eingesetzt wird, damit sie durch ihre doppelte (Kardanische) Lagerung jeden Seegang aufrecht überstehen. Allerdings sind Petterssons Wandpendel nur parallel zur Wand pendelbar.
Skultuna
Skultuna Messingsbruk wurde als eines der ersten „staatsrettenden“ Messingwerke im Jahre 1607 gegründet. Diese Zahl trägt Skultuna nach wie vor im Stempel. Das Sortiment bestand aus Lustern, Behältern, Kesseln, Schalen, Plaketten, Mörsern, Kerzenhaltern, Glocken, etc. Der älteste erhaltene Kerzenluster datiert aus dem Jahre 1619 und befindet sich in einer Kirche in Enköping.
Pierre Forssell (*1925) war über drei Jahrzehnte, von 1955-86, für Skultuna tätig. Unter anderem entwarf er diese Pendelkerzenhalter:
Die Gewichte sind anders als jene von Arthur Petterssons Wandpendeln mit mehr Spielraum in der Aufhängung gelagert, daher noch eher seetauglich, da in begrenztem Radius um 360° beweglich.
Die Rückseite trägt das Gründungsjahr 1607 in der Markierung, M10 steht für das Produktionsjahr 1986 (also das letzte Jahr, in dem Forssell noch für Skultuna tätig war…):
Profil heißt eine schöne Serie, die Pierre Forssell für die Adventszeit entwarf…
…und tatsächlich besteht der Kerzenhalter aus einem Messingprofil:
Die Unterseite ist u.a. mit der Modellbezeichnung Nr. 69 geprägt:
Ein Stich aus dem Jahr 1873 gibt einen Eindruck vom damaligen Messingwerk:
Torssell
Karl-Erik Torssell (1909-2000) lebte und arbeitete in Skepparkroken bei Ängelholm an der südwestschwedischen Küste. Er schuf zahlreiche Wandlampetten und Schalen aus Messing, unter anderem aus gewölbten kreisförmigen Schalen, die er mit vielen hunderten Hammerschlägen gleichmäßig trieb und damit die Oberfläche für eine besonders weiche Reflexion des flackernden Kerzenlichtes schuf.
Das hier abgebildete Modell für Stabkerzen hat einen Durchmesser von 21cm, kam aber in mehreren Größen. Die 21cm-Variante heißt noch heute Kungalampetten (Königslampette), nachdem der damalige schwedische König Gustaf V. in den frühen 1930er Jahren das allererste Paar dieser Wandlampetten als Verlobungsgeschenk für seinen Sohn und späteren König, Prinz Gustaf Adolf, und dessen Verlobte Sybilla erstand.
Die rückseitige Markierung beziffert mit dem schwedischen Jahresstempel U9 das Jahr 1970 als Entstehungsjahr:
Ein selteneres Modell ist dieser lanzettförmige Kerzenhalter:
Heute setzt Torssells Enkelin Malin Appelgren-Paulsson die Tradition fort und stellt neben eigenen Entwürfen auch die Königslampetten her.
Dansk Designs
Jens Harald Quistgaard (1919-2008) war neben praktischem Hausrat in hohem Maße dem Thema Kerzenhalter zugetan. Allein was er mit Gusseisen entwarf, verdiente ein eigenes Blog-Posting, doch hier sollen – wieder einmal – seine wunderbaren Messingkerzenhalter gezeigt werden:
Sie wurden in 2 Teilen in jeweils einer Form gegossen und verschraubt. Quistgaard wählte diese zweiteilige Form auch aus Herstellungskostengründen. Einteilige Gussformen sind entweder kostspiellige Lost forms, oder aber sie ergeben reduziertere Objekte ohne Möglichkeit zur Untergriffigkeit.
Randnotiz: Hält man zwei dieser Kerzenhalter locker am Hals und lässt sie unten zart gegeneinander schlagen, ertönt ein wunderbarer, lange anhaltender Ton…
Boyes Metalkunst in København
In ihrer Form den oben abgebildeten Kerzenhaltern Quistgaards nicht unähnlich, unterscheiden sich diese in Kopenhagen gefertigten Kerzenhalter doch völlig von seinem Entwurf. Sie sind aus dünnem Messingblech und erhalten ihre Schwere und damit Standfestigkeit mittels Füllung mit Zement.
Boyes Metalkunst stellte mehrere Größen und Modelle her, allesamt sind sie schön kombinierbar – auch mit jenen des großen Kollegen Quistgaard:
Die in diesem Beitrag abgebildeten Kerzenhalter sind kaum aufpoliert bis völlig unpoliert. Messing patiniert relativ langsam und erhält dabei einen schönen, sehr warmen Ton. Wird die Patina per Politurpaste entfernt, erscheint das Metall hellgelb und stark glänzend. Auch das ist schön, und diese Rückführung zum ursprünglichen, ab Werk frischpolierten Zustand weicht mit der Zeit wieder einem satteren Messington.
Literatur:
1) Nils Forsgren: „Det ska fan vara mässingsbrukspatron“, in: Näringslivets historia – Företagsminnen. Nr 2, 2011 (S. 20-22)
http://www.naringslivshistoria.se/Global/Pdf/Tidskriften/2011/foretagsminnen_2011_02_web.pdf
2) Hans Wikner: „Den dämpade belysningens mästare“, in: Sydsvenskan, 21.9.2009
http://www.sydsvenskan.se/familj/dodsfall/den-dampade-belysningens-mastare/
3) Lasse Blom: „95-årige Arthur har tillverkat mässingsföremål i ett halvt sekel“, in: Västeråstidning, 23.8.2014 (S. 18)
http://pdf.direktpress.se/flashpublisher/magazine/10890/page/17