Gut, wir sind also nach 4000 km Fahrt nicht mehr weiter an den Nordpol, sondern haben oben am Nordkap das Auto Richtung Finnland gewendet. Der Rückweg führt wieder die schöne Küstenstrecke am Porsangerfjord entlang.
Eine samische Kote vor roten Holzhäusern:
Samen waren und sind zu einem guten Teil heute noch Rentierzüchter. Diese Koten-Zelte dienten ihnen zu Zeiten, als sie ausschließlich nomadisch lebten, als flexible Behausung. Heute werden die Zelte v.a. als Vorratsräume, Trocken- oder Räucherkammern genutzt.
Mehr über die samische Kultur erfährt man auf www.samer.se/english, oder auch in dem Film „Sami People“ (Regie: Robert W.K. Styblo, produziert von TM Wissen für ServusTV, unter https://www.youtube.com/watch?v=4oawzU5l7qk abrufbar):
Das Nordkap ist ein Schieferplateau. Hier an der Küste sieht man, wie der Schiefer über die Jahrmillionen erodiert ist und gleichsam aufgestapelt in der Landschaft steht:
Auch andere Gesteinsarten kommen vor, manche verbergen im Inneren eine weitere Gesteinsart, rosa und grün, freigewaschen durch das Eismeer:
Wo dieses immer eisig kalte Meer…
… auf die Küste trifft…
… findet man Essbares: Seeigel, riesige Miesmuscheln,…
… und Klauen und Beine der Seespinne:
Vermutlich die Reste einer Möwenmahlzeit.
Lappland wird ein großer Abschnitt genannt, der sich über Norwegen, Schweden, Finnland und Russland erstreckt. Setzt man Lappland mit dessen samischem Äquivalent Sápmi gleich, umfasst die Fläche 388.000 km² (zum Vergleich: die Fläche Österreichs beträgt knapp 84.000 km²). Das entspricht dem Kulturraum und Siedlungsgebiet der samischen Bevölkerung. Bezieht man nur die nördlich des Polarkreises liegenden Gebiete ein, bemisst sich die Fläche auf knapp 220.000 km².
Finnlands nördlichste Gemeinde Utsjoki trägt im Samischen den Namen Ohcejohka:
Auf einer Reise quer durch Skandinavien und Finnland wird man mit großen Distanzen konfrontiert. Ortschaften hoch oben im Norden liegen, in gleichförmige Landschaft gebettet, immens weit auseinander. Das Navi-Bild bleibt oft 100 km lang so gut wie unverändert:
Der mitternächtliche Himmel über dem Inarisee (inarisamisch: Aanaarjävri):
Dieses Warnschild zeigt die Umrisse Finnlands, der schwarz markierte Teil weist lapidar auf herumstromernde Rentiere hin, denn hier, wie auch schon in Nordschweden und -norwegen, ist Rentierzuchtgebiet. Etwa 150.000-200.000 halbzahme Tiere werden alleine in Finnland gehalten.
Auf dem Weg Richtung Süden, und prompt wird das Wetter freundlicher.
Finnland hat knapp 188.000 Seen mit jeweils mehr als 500 m² Fläche.
Der finnische Elchbestand liegt etwa bei 100.000 Tieren. Die sind allesamt wild, halbzahm gibt’s da nicht. Daher sind sie weitaus seltener zu erblicken als Rentiere. Sie sind dämmerungsaktiv und queren abends und nachts Straßen, die ihre Reviere zerteilen. Und zwar auf dem gesamten Festland Skandinaviens und Finnlands.
Der Seitenaufprallschutz ist übrigens eine schwedische Erfindung (Saab, 1972), ebenso wie der Dreipunkte-Sicherheitsgurt (Nils Bohlin für Saab, 1959). Wer die Zusatzscheinwerfer erfunden hat, entzieht sich meiner Kenntnis, aber man sieht oben im Norden kaum ein Auto ohne einen extra Dreier- oder Vierersatz Fernscheinwerfer.
Seit dem Nordkap ist der Kilometerzähler um 1.150 km weitergelaufen. Nach 10,5 h reiner Autofahrt ab Inari endlich Ankunft in Umeå in der Abenddämmerung. Vicke Lindstrands (1904-83, S) Glasskulptur Grön Eld (Grünes Feuer) aus dem Jahr 1970 leuchtet jadegrün am Järnvägstorget vor dem Bahnhof:
Außerhalb von Umeå liegt der sehr sehenswerte Umedalens Skulpturpark. 1994 eröffnet, kann der Park ganzjährig und zu jeder Tageszeit besucht werden.
Auf dem Areal lag ursprünglich eine psychiatrische Anstalt, wie Einrichtungen zur Behandlung psychisch Kranker damals genannt wurden. Sie war 1934 errrichtet worden, und v.a. in den ersten Jahrzehnten ihres über fünfzigjährigen Bestehens wurden gängige aber sehr fragwürdige Behandlungsmethoden angewandt. Heute befinden sich in den renovierten und adaptierten Gebäuden Kindergärten, Alterswohnheime, Kulturzentren. Eingebettet sind diese Institutionen in eine lichte Kiefernparklandschaft, und in zeitgenössische Kunst.
Lin Pengs Pferdeskulptur „A New Perspective“ auf einem alten Fabriksschlot:
Tony Craggs Bronzeskulptur „Stevensson (Early Forms)“:
Diese Arbeit der Künstlerin Carina Gunnars nimmt direkten Bezug auf eine der grausamen Methoden, die in vielen psychiatrischen Anstalten üblich waren, um „unruhige“ oder allzu „aktive“ Patienten und Patientinnen ruhigzustellen: Langbäder in heißem oder eiskaltem Wasser, die bis zu 10 Stunden dauern konnten:
Andere „Therapieformen“ bis in die 1950er Jahre waren Elektroschocks, absichtlich herbeigeführte Insulinkomata oder Fieber.
Auch Kaarina Kaikkonens Arbeit „A Path II“ assoziiert man sofort mit der Vorgeschichte des Areals, 160 Männersakkos reihen sich auf 80 m Stahldraht in militärischer Ordnung aneinander:
Antony Gormleys „Another Time VIII“:
Serge Spitzer konstruierte die Eisenskulptur „Umeå Prototype“ um die Birken herum:
Vielleicht wuchsen aber auch die Birken in die Skulptur hinein.
Louise Bourgeoises Sitzskulpturen „Eye Benches II“:
Gut 100 km südlich von Umeå, in Örnsköldsvik, hat man auf dem Weg durch die Stadt schon mal Blick auf eine Sprungschanze:
An dem wandernd zu erkundenden Küstenabschnitt Höga kusten (im Jahr 2000 von der UNESCO zum Welterbe erklärt) liegt das winzige Örtchen Köpmanholmen mit einem Hafen, von wo aus die Fähren zu einigen der vorgelagerten Schären ablegen. Im Hafenrestaurant bekommt man Hausmannskost mit Blick aufs Meer.
Von Köpmanholmen südwärts weiter bis Söderhamn, dort verlassen wir die Küste und fahren via Bollnäs ins Landesinnere. Wir befinden uns etwa 1000 km Luftlinie von Karesuando entfernt, sind aber immer noch in Norrland.
Die Provinz hier heißt Hälsingland, sie ist bekannt für ihre großen, zweistöckigen Bauernhöfe (hälsingegårdar, also Hälsingehöfe) aus dem 19. Jahrhundert. Die Bauern waren frei, schuldeten keinem Lehnsherren Arbeitskraft oder Ernteanteile, und erwirtschafteten sich einen gewissen Reichtum. Daher wurden die Interieurs mancher Holzhöfe äußerst prachtvoll gestaltet, mit reichen Wandmalereien und kunstvollem Mobiliar.
Die geradezu aristokratische Anmutung trug den Höfen den Beinamen Bauernschlösser ein. Sieben Höfe gehören seit einigen Jahren zum Weltkulturerbe der UNESCO.
Eine Anlage besteht typischerweise aus 2-3 einzelstehenden Wohn- und Festhäusern, Wirtschaftsgebäuden, Ställen, Scheunen und Schuppen. Die Sockel waren aus großen Steinen in Trockenbauweise errichtet. Darauf wurden die Holzhäuser gebaut und Falurot gestrichen. (Mehr über diese Farbe dann noch weiter unten.)
Den Eingangstüren waren überdachte Entrées vorgebaut, auf deren Bänken links und rechts so mancher Feierabend in der Abendsonne genossen wurde:
Hälsingland ist wie ganz Schweden reich an Gewässern, dieses auf mächtigen Pfählen gebaute Nebengebäude diente wohl als Winterlager für Holzkähne:
Der Zaun ist ein traditioneller gärdesgård, dessen Bauweise in Schweden seit mehr als 1000 Jahren bekannt ist. Langsam gewachsenes, bevorzugt im Spätwinter geschlagenes Fichtenholz ergibt dauerhaftes Material, die Zäune können einige Jahrzehnte lang halten. Junge, biegsame Fichtenzweige werden entastet und mehrmals in Achtern um jeweils ein Steherpaar aus Fichtenspitzen geschlungen und verknotet. Sie dienen gleichzeitig als Abstandhalter der schräg eingefädelten, etwa 4-5 m langen Stangen. Fünf bis sieben Steherpaare sind notwendig. Es kommt nur Holz zum Einsatz, wodurch sich die Zäune wunderbar in die Landschaft einfügen.
Und wieder einmal die Abenddämmerung… hier an einem See in Dalarna:
Ja, und wenn es dämmert, dann kommen sie aus dem Wald hervor, die Elche.
Eine junge Elchkuh steht am Straßenrand, blickt uns kurz an und verschwindet dann wieder zwischen den Bäumen.
Dass wir immer wieder vor oder nach den Öffnungszeiten eintrudeln, hat auch einen Vorteil: Es ist menschenleer. So wie hier in Lilla Hyttnäs in Sundborn, wo das Künstlerehepaar Carl und Karin Larsson mit ihren Kindern lebte:
Das Wohnhaus wurde über viele Jahre immer wieder durch Zubauten erweitert, verändert, die Innengestaltung durch die Larssons war ungezügelt kreativ und prägte den skandinavischen Wohnstil entscheidend mit.
Carl Larssons Atelier:
Das Haus liegt malerisch an einem See mit eigenem Zugang:
Plötzlich hebt ein Schwarm Graugänse laut schnatternd vom Wasser und fliegt in Keilformation Richtung Nachtlagerplatz:
(Eine gute Gelegenheit, Selma Lagerlöfs Klassiker „Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen“ wieder einmal zu empfehlen. Sie verfasste das Buch 1906 eigentlich als Schulbuch für den Landeskundeunterricht und verwebte sehr spannend und unterhaltsam die Abenteuer des geschrumpften Nils Holgersson auf dem Rücken der Gänse mit der Schilderung aller schwedischen Provinzen. Leider vergaß sie auf die Provinz Halland bzw. streifte sie nur kurz auf einer Seite, und mit dem Einsatz als Schulbuch wurde es dann nichts mehr.)
Neben Lilla Hyttnäs befindet sich mit Stora Hyttnäs eine weitere historische Anlage, deren Ursprünge im 16. Jahrhundert liegen. Das Wohnhaus und der prachtvolle Ziergarten können besichtigt werden. Die Sensation dort ist wohl gubbäppelträdet: Ein Apfelbaum, der um das Jahr 1650 (!) gepflanzt wurde und mittlerweile krumm und mit zerborstenem, hohlem Stamm noch immer Äpfel trägt:
In dieser Ecke Sundborns, an diesem spätsommerlichen Abend, herrscht eine kontemplative, ruhige Stimmung. Zwei Häuser, deren wohnliche Gestaltung so wichtig genommen, in denen kreativ gearbeitet und gefeiert wurde, und Gärten, die ganz offenbar geschätzt wurden – ein Nachhall davon ist immer noch spürbar.
Auf unserer Route 1760 km vom Nordkap entfernt, nicht weit von Sundborn, liegt die Stadt Falun. Hört man in Schweden Falun, denkt man an zwei Dinge:
Einerseits Falukorv (eine Wurst, die als Nebenprodukt der Erzgewinnung entstand. Das klingt eigenartig, die Erfindung dieser Wurst im 16. Jahrhundert hängt schlichtweg damit zusammen, dass für das Hochschaffen des unter Tag abgebauten Erzes starke Seile notwendig waren, die eben aus der Haut von extra dafür geschlachteten Ochsen gefertigt wurden. Und den Rest der Ochsen verwurstete man sozusagen).
Und andererseits Falu Gruva – das Faluner Bergwerk.
Im 9. Jahrhundert begann hier das Schürfen nach Erzen, v.a. Kupfer, das Bergwerk ist 1288 erstmals urkundlich belegt. Einst war es das größte Erzbergwerk Europas, im 17. Jahrhundert bediente es 2/3 des europäischen Kupferbedarfs. Eine Zeit lang war es auch Schwedens größtes Silberbergwerk, auch Gold wurde abgebaut. 1992 wurde es stillgelegt und gehört seit 2001 zum UNESCO Welterbe. Heute kann das beeindruckende Areal besichtigt werden.
Von oben bietet sich ein grandioser Blick in die große Pinge (Stora Stöten). Sie ist etwa 100 m tief und hat einen Durchmesser von 300-400 m:
Vom Tagbau-Niveau führten noch Stollen tief in die Erde hinunter.
Unter diesem Gebäude bohrt sich der sog. Creutz Schacht über 200 m in die Tiefe. Dabei muss man bedenken, dass 1662, als mit dem Graben dieses Schachtes begonnen wurde, der Sprengstoff in Europa noch nicht bekannt war. Um einen Meter tief zu graben, brauchte es einen Monat. Und je tiefer hinunter gegraben wurde, umso beschwerlicher war es, Gestein und Geröll hochzuhissen:
Auf dem gesamten Areal liegen immer wieder hohe Haufen Erzgestein. Der vorherrschende Farbton ist ein warmes Braunrot, oftmals ein klassisches Falunrot. Und sogar die Flechten, die als Pioniere alles besiedeln, sind hier rot:
Dieses Rot findet sich im gesamten Hohen Norden als Holzfarbe wieder, gewonnen wird es seit etwa 500 Jahren aus einem Nebenprodukt oder eigentlich Abfallprodukt des Kupferabbaus: Die beim Freilegen der kupferhaltigen Schichten anfallenden Gesteinsbrocken, der sog. Abraum, enthalten farbgebende Eisenoxide, Eisenocker, Kieselsäure, Zink. Leinöl und Mehl dienen als Binder.
Wer kennt sie nicht, die roten Häuser:
Das in der Farbe enthaltene Eisenvitriol konserviert die damit gestrichenen Holzfassaden. Noch dazu ist Falunrot sehr lichtecht und atmungsaktiv, was der Holzfäule vorbeugt. Die enthaltenen Kieselsäurekristalle reflektieren das Licht, und besonders in der Morgen- oder Abendsonne wirken diese roten Holzhäuser, als glühten sie – so wie der Hälsinghof weiter oben, den wir am Vortag gesehen haben.
Nach dem gezielten Besuch der Faluner Kupfergrube auf der Weiterfahrt Richtung Huskvarna ein Zufallsfund: Löa Hytta.
Diese Eisenhütte stammt aus dem frühen Mittelalter, als Schweden noch ein Drittel des weltweiten Eisenbedarfs deckte. Die Hütte war schon damals im Besitz einer Bauernkooperative, ist heute zwar nicht mehr aktiv, aber nach wie vor im Besitz der Bewohner und Bewohnerinnen von Löa.
Ein Werk jüngeren Datums passieren wir auf der Weiterfahrt, die Formen der Schlote sind altbewährt:
In Motala ein kurzer Stopp am Wasser – der Göta-Kanal mündet bei Motala in Schwedens zweitgrößten See, den Vättern:
Gemeinsam mit Trollhätta kanal und Göta älv (= Fluss) bildet der Göta kanal eine knapp 400 km lange Verbindung quer durch Schweden von der Ostsee zum Kattegatt bei Göteborg. Dabei werden 90 Höhenmeter mit Hilfe von 58 Schleusen überwunden.
Was der Vättern auch zu bieten hat, sind Krebse. Süßwasserkrebse dürfen aus Gründen der Arterhaltung nur zwischen Mitte August und Mitte September gefangen werden. Generell ist das Krebsfischen nur Berufsfischern oder Leuten mit eigenem Fischwasser erlaubt, im Vättern hingegen darf die Allgemeinheit von Freitag Abend bis Sonntag Abend Reusen auslegen und Krebse fischen. Krebse müssen ja sehr rasch verarbeitet werden, hier am Vättern fährt man daher immer wieder an einer kräftkokeri vorbei, einer Krebskocherei:
Ebenfalls am Vättern liegt ein weiteres Haus mit Geschichte: Ellen Keys (1849-1926) Haus Strand, das sie 1910/11 erbauen ließ und wo sie bis zum ihrem Tod lebte. Sie war eine Pädagogin, die sich äußerst engagiert für kindgerechte Erziehung und nicht autoritär geführte Schulen einsetzte. Sie war Friedensaktivistin, Frauenrechtlerin, bereiste viele Jahre lang Europa, hielt Vorträge und war Verfasserin einiger nachhaltig prägender Schriften und Bücher.
Einige ihrer Ideen oder Ideologien einer „reinen, gesunden Menschheit“ formten sich allerdings in jenem geistigen Klima, das Jahrzehnte später als Konsequenz dieser Ideologie in den Unmenschlichkeiten des Naziregimes kulminierte.
Abgesehen von dieser unentschuldbaren Haltung war sie auf einem anderen Gebiet jedoch eine unbestritten wichtige und positiv prägende Denkerin. Key sah Ästhetik als soziale Kraft, mit deren Hilfe man gute – private – Milieus und damit auch „gute“ Menschen formen konnte. Ihre Streitschrift für gutes, schönes Design erschien nach Vorabdrucken 1897 in Buchform 1899 unter dem Titel „Skönhet för alla“ (Schönheit für alle). Wie auch Adolf Loos‘ in seiner 1908 erschienene Schrift „Ornament und Verbrechen“ lehnte sie unnütze Verzierungen und Ornamente ab. Sie verlangte schon von Herstellerseite dieses Bewusstsein und Verantwortungsgefühl und forderte eine enge Zusammenarbeit mit Svenska Slöjdföreningen, jener 1945 von Nils Månsson Mandelgren gegründeten Schwedischen Kunsthandwerksvereinigung, mit der das nachfolgende schwedische Design im Sinne der „Guten Form“ und der „Schöneren Alltagsgegenstände“ (vackrare vardagsvara) untrennbar verknüpft ist. Ihr Credo lässt sich so zusammenfassen:
„Erst dann, wenn es nichts Hässliches mehr zu kaufen gibt, wenn das Schöne gleich billig ist wie das Hässliche heute, kann die Schönheit für alle Wirklichkeit werden.“¹
Und hier, in diesem von der Abendsonne beschienenen Haus am steilen Ostufer des Vättern, verbrachte sie also ihre letzten 15 Lebensjahre:
A propos Abendsonne – wir sind wieder spät dran, ein Zwischenstopp in Gränna am Vättern geht sich auf der Weiterfahrt aus:
Gränna = polkagris, könnte man sagen, und polkagrisar sind diese rotweißen, gedrehten Zuckerstangen und -bonbons:
Noch mehr Dämmerung, aber immerhin schon in Huskvarna. Hier steht ein weiteres schönes Stück schwedischen Designs, und noch dazu so wunderbar in Schuss, mit glänzend taubenblauem Lack und blankem Chrom, alles tipp-topp:
Ein Volvo 444, auch bekannt unter dem Namen „PV“. Dieses Modell wurde 1942 entworfen, 1947 erstmals in Serie gebaut und mit Modifikationen bis 1958 produziert.
Huskvarna ist mit Jönköping verschmolzen, zum Essen fahren wir also in die Nachbarstadt an den Pier und bestellen Fisch.
Morgens vor der Weiterfahrt Richtung Växjö noch ein Besuch des alten Husqvarna-Areals:
Husqvarnas Produktpalette verschob sich seit der Gründung 1689 von tödlichen Musketen hin zu Nähmaschinen (die ersten wurden 1872 gebaut) und erfreulichen Gusseisenpfannen-, töpfen und -brätern. Es folgten kurz danach Fahrräder, Motorräder wurden um die Jahrhundertwende ins Programm genommen, Rasenmäher, Haushaltsgeräte kamen dazu und schließlich Kettensägen.
Waffenschmiede fertigten im 17. Jahrhundert für Husqvarna gevärsfaktori Läufe, Schließen und Beschläge für Musketen an, und für diese Arbeiter und ihre Familien wurde ab 1758 das Smedby (Schmieddorf) genannte Wohnareal gebaut:
Nach jeder Eingangstür führte der Vorraum, den sich vier Familien teilten, in vier Zimmer mit jeweils eigener Küche und, daran angeschlossen, einem kleinen Gemüsegarten.
Heute beherbergt Smedbyn kleine Werkstätten, Ateliers und Cafés.
Växjö liegt mitten in Glasriket (Glasreich) in Småland. Hier befanden und befinden sich Schwedens berühmteste Glashütten. Dass es in Växjö ein Glasmuseum gibt, ist daher naheliegend. Erstaunlicherweise ist es aber nicht sehr ergiebig. Man sollte meinen, dass eine Gegend mit einer derart reichen Glaskultur sich eine Dauerausstellung leistet, die groß und üppig und stolz die prächtigen Meisterwerke der jahrhundertelangen Glaskunst präsentiert. Aber neben der aktuellen Ausstellung zeitgenössischen Glases muss ein kleiner Raum genügen.
Immerhin steht hier ein besonders schönes Objekt von Ingeborg Lundin (1921-92), das sie für Orrefors entwarf:
Växjö liegt hinter uns, seit Falun haben wir unserem Auto weitere 680 km aufgebrummt. Wir sind Richtung Westküste weiter und in Halmstad angekommen. Der Plan für die letzten paar Tage vor der Rückreise: Möglichst nicht Auto fahren.
Statt dessen genießen wir das schöne, sonnige Wetter am nahen Strand in Frösakull.
Mit dem Fahrrad brauchen wir 4 min ans Meer, fast auf dem Weg liegt ein bemerkenswerter Bau aus dem Jahr 1960, Bruno Mathssons (1907-88) erstes Glas-Haus, das er als Sommerhaus für sich und seine Familie errichten ließ:
Zu diesem Haus wird noch ein eigener Blog-Artikel erscheinen, hier nur soviel zur Konstruktion: Glaswände von oben bis unten, in Kombination mit dünnen Holzpaneelen und Kunststoffplatten. Das Dach ein lichtdurchlässiger Wellkunststoff, und alles fast in einer Ebene mit dem Erdboden, der hier sandig und mit mittlerweile hohen Kiefern bewachsen ist.
Nach 20 Tagen steht die Rückreise an. Also wieder rein ins Auto. Die Fahrt entlang der schönen Westküste ist angenehm, immer wieder erhascht man einen Blick auf das Meer. Die südschwedische Provinz Skåne (Schonen) gilt als die Kornkammer des Landes, die goldgelben Getreidefelder wogen im Wind…
…der hier in Küstennähe früher flott mit Windmühlen genutzt wurde:
Von Helsingborg setzen wir wieder mit der Fähre über den Sund nach Helsingør über. Segelboote sind unterwegs.
Von Rødby weg nach Puttgarden braut sich ein grauer Himmel zusammen, die Überfahrt ist dennoch schön.
Das war also unsere Route, 7000 km in drei Wochen:
Bevor wir in Hamburg das Auto auf den Zug fahren, hängt eine Schiwerbung vor uns:
Literatur
¹Key, Ellen: Skönhet för alla. Albert Bonniers Boktryckeri, Stockholm 1904, S. 5 (http://runeberg.org/keskonhet/). Deutsche Übersetzung des Zitates: Sandra Nalepka