schwedisches Besteck: SERVUS

Sigurd Persson (1914-2003, S) zählt zu Schwedens bekanntesten und renommiertesten Feinschmieden und Industrial Designern. Er ging bei seinem Vater Frithiof Persson in dessen Goldschmiedeatelier in Helsingborg in die Lehre, 1942 eröffnete er sein eigenes Atelier in Stockholm. Viele seiner Silber- und Goldarbeiten waren ihrer Zeit weit voraus – radikal einfache Materialstücke, wenn die Mode gerade feinteilige Edelsteinarbeiten verlangte, oder äußerst komplexe Schmuckstücke mit gänzlich neuen Trageweisen.

1949 begann er seine Zusammenarbeit mit dem schwedischen Unternehmen Silver och Stål (S&S), die 40 Jahre währen sollte. Neben seinen Schmuckarbeiten entwarf er ab den 1950er Jahren bis zu seinem Tod v.a. für die industrielle Fertigung entworfene Gebrauchsartikel wie etwa Emaillekannen für Kockums, Edelstahl-Hohlwaren, eine gusseiserne Topf- und Pfannenserie für Ronab, etc. Zu seinem Entwurfsregister zählen auch die klassischen Geschirrbürsten aus Nylon für Stockholms borstbinderifabrik (später Kronborsten), Industriestühle für Åry, das Fünfkronenstück von 1976, und ab 1967 Glasarbeiten für Kosta und später für Transjöhyttan. Im Auftrag von Kooperativa Förbundet KF zeichnete Persson 1977 eine reduzierte, leichte, einfach zu reinigende Edelstahl-Topfserie namens Gunda, die später von Hackman hergestellt werden sollte. Ebenfalls für KF, aber bereits 1953 entstand das Edelstahlbesteck Servus, das zwei Jahre später bei seiner Präsentation auf der Hälsingborg-Messe H55 große Beachtung fand. Um dieses Besteck soll es hier gehen:

KF SERVUS Sigurd Persson_1

Das Besteck war umfangreicher als hier abgebildet, doch sind hier schon sehr viele Teile zu sehen (v.l.n.r.): Buttermesser, Couvertmesser, Cocktaillöffel, Partygabel, Vorspeisengabel, Vorspeisenmesser, Suppenlöffel, Tafelgabel, Tafelmesser:

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Die Entwicklung des Besteckes geschah in enger Zusammenarbeit mit KFs Probeküche. Bei den Klingen hätte Persson ursprünglich eine unkonventionellere Form gewählt, mit deutlicher Dreiecksform. Doch entschied er sich für eine optisch unauffälligere Klingenform. Die Dreiecksform wurde später bei seinem Bestecksentwurf Ultra umgesetzt, und auch Servus svart (siehe Foto unten) bekam das fähnchenhafte Eck im Messerblatt verpasst:

KF SERVUS SVART Sigurd Persson_1_short

Hier sind v.l.n.r. abgebildet das Couvertmesser, Vorspeisenmesser und Tafelmesser:

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Die Schräge im Übergang vom massiven, leicht gewölbten Griff zum flachen Klingenstahl ist ein wesentlicher Teil des Designs: Es vermittelt Bewegung, streckt die Messer und schlägt formal den Bogen zu Löffel und Gabel, deren Kellenansatz ja auch schräg verläuft. Die Klingen kamen wahlweise mit oder ohne Wellenschliff:

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Hier liegen eine Partygabel, Vorspeisengabel und Tafelgabel nebeneinander (v.l.n.r.):

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Typisch für skandinavisches Besteck aus dieser Epoche sind die kurzen Zinken der Tafel- und Menügabel in Relation zur Laffe, sodass sie sich gut für die saucenlastige Hausmannskost der Zeit eigneten.
Die Partygabel bekam einen klingenartigen Schliff an der linken Seite, wodurch man damit ausgezeichnet einhändig hantieren konnte – etwa auf Parties oder vor dem Fernseher (der ja in den 1950ern noch nicht in jedem Haushalt vertreten war und dessen Programme oftmals mit FreundInnen oder NachbarInnen und einem sofatauglichen Imbiss konsumiert wurden):

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Natürlich waren auch Kaffee-, Tee- und Dessertlöffel Teil des Besteckes, doch hier sind nur der Cocktaillöffel und der Suppenlöffel abgebildet:

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Die Messer hatten aus ergonomischen Gründen eine gerade verlaufende Grifflinie und einen flach ovalen Querschnitt. Bei Löffeln und Gabeln jedoch konnte Persson vom flachen, breiten Griff verschlankend zum Hals hinauf arbeiten.

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Alle Teile waren geprägt mit dem Modellnamen Servus sowie der Legierungskennzeichnung RF. 18-8 (rostfreier Chrom-Nickelstahl mit 18 Teilen Chrom und 8 Teilen Nickel):

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Immer wieder tauchen Besteckteile mit diversen Prägungen am Griffende auf. Die unten abgebildete Abkürzung „RESO“ ist ein schöner kleiner historischer Fund, weil er auf die Grundidee vom Kooperativa Förbundet hinweist: KF beschränkte sich ja nicht auf genossenschaftlich produzierte und verkaufte Waren des Alltags, also Lebensmittel und Hausrat, sondern wollte den Mitgliedern ein rundum leistbares und dennoch qualitätsvolles Leben mit ermöglichen. So hatte KF hochwertige Möbel im Sortiment, kaufte renommierte Buchverlage und Buchhandlungen und zeichnete sich auch durch gute Architektur aus. In diesem Sinne wurde 1937 Reso AB gegründet, ein schwedisches Unternehmen, das Reisebüros, Hotels und Reiseorganisatoren bündelte und u.a. im Besitz von KF und des schwedischen Arbeiterbildungsverbandes (Arbetarnas Bildningsförbund ABF) war. Das Gründungsjahr ist interessant, da im Jahr darauf Schwedens erstes Urlaubsgesetz erlassen wurde: Auf zwei Wochen oder 12 Werktage bezahlten Urlaub hatten alle ArbeiterInnen und Angestellten Anrecht. Man kann also davon ausgehen, dass die wenigsten Berufstätigen urlaubserfahren waren, und auch kaum über ein großes Reisebudget verfügten. So füllte Reso AB mit schönen Unterkünften und niederschwellligem Angebot innerhalb Schwedens diese Lücke und organisierte vielen Menschen den ersten echten Urlaub. Konsequenterweise wurden die Unterkünfte mit KF-Design ausgestattet, also offfenbar auch mit Perssons Besteck. Als Servus eingeführt wurde, sah das Urlaubsgesetz drei bezahlte Urlaubswochen vor. Reso AB wurde 1991 vom norwegischen Bennett Reisebureau gekauft, das wenige Jahre darauf wiederum von der Hogg Robinson Group plc. übernommen wurde.

KF SERVUS Sigurd Persson_13

Sigurd Perssons Entwürfe sind in zahlreichen Museen vertreten, so etwa im Nationalmuseum, Nordiska museet (beide Stockholm), Röhsska museet (Göteborg), Det Danske Kunstindustrimuseum (Kopenhagen), Museum of Modern Art (New York), Victoria and Albert Museum (London), Musée des Arts Décoratifs (Paris).

Empfehlenswert ist ein Blick auf die von Jesper Persson geführte Website http://www.sigurdpersson.se/, die über das Leben und umfassende Schaffen seines Vaters informiert.
Einen Eindruck von Sigurds Perssons Arbeiten erhalten Sie ebenfalls über die digital abrufbare Sammlung des Nationalmuseum unter diesem Link: http://emp-web-84.zetcom.ch/eMP/eMuseumPlus?service=direct/1/ResultListView/moduleContextFunctionBar.viewType&sp=10&sp=Scollection&sp=SfieldValue&sp=0&sp=0&sp=3&sp=SdetailList&sp=0&sp=Sdetail&sp=0&sp=F&sp=Slightbox_3x4


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