Skandinavien ist als äußerst kinderfreundlich bekannt. Die Pädagogik gilt als fortschrittlich und ist zudem an der Gleichstellung der Geschlechter orientiert. Gleichgerechtigkeit wird bereits den Kleinsten angediehen, denn sie sollen zwanglos Kinder sein und keine tradierten Rollenvorstellungen erfüllen.
In diesem Sinne beginne ich den Blogartikel mit einem Kleidungsstück des 1925 gegründeten schwedischen Traditionsunternehmens Fristads, in dem sich Kinder jeglichen Geschlechts pudelwohl fühlen, das es auch für Erwachsene gibt, in Damen- und Herrengrößen, in praktischen und auf dem Gebiet der Arbeitsbekleidung typischen Farben (und nicht etwa in Rosa), und das auf Schwedisch geschlechtsneutral schon immer „Blaugestell“ (blåställ) hieß:
Kinder, die etwa 1 m hoch sind, passen da prima rein, aber auch kleinere und größere können sich mittels verstellbarer Hosenträger und aufkrempelbarer Hosenbeine adäquat gekleidet im Hämmern und Schrauben üben.
Die Hose ist mit so vielen Taschen ausgestattet, dass das Kind eigentlich keinen Sortierkasten für all die Schrauben, Nägel, Muttern und die anderen Kleineisenteile, die es finden und aufheben wollen wird, braucht. Sie müssen halt vor dem Waschen die Taschen unbedingt leeren (es gibt insgesamt acht davon).
Die Latzhose ist aus 100% Baumwolle, hat verstärkte Knie, schmale, schräg angeschnittene Einschubtaschen für Zollstöcke oder Schraubenzieher und eine essentielle Hammerschlaufe an der rechten Hüfte:
Der lange Reißverschluss an der Vorderseite ermöglicht in dringenden Fällen einen raschen Ausstieg:
Dieses Kleidungsstück ist um kein Detail weniger durchdacht oder weniger sorgfältig gefertigt als die Pendants in Erwachsenengröße. Das hält vermutlich etliche Kinder aus…
In etwa dieselbe Höhe wie das Kind, das in die Latzhose passt, sollte das Kind haben, dem diese Schürze umgebunden wird (weil Masche binden ohnehin schwer genug ist, und dann noch hinterrücks… das geht noch nicht alleine):
Die Schürze ist ein sorgfältig genähtes Handarbeitsstück einer Person, die wusste, dass kleine Buben und Mädchen begeistert backen. Kinder sind ja grundsätzlich völlig unvoreingenommen für alles offen, was ihnen die Welt zu bieten hat. Phantasie, Spielfreude und Aufgehen in einer Tätigkeit sind geschlechtslos.
Ein Kinder- (und Erwachsenenliebling) im skandinavischen Raum ist die kleine Figur auf dieser Kindertasche, Mumin heißt das Kerlchen:
Die Tasche hat einen Zipp, ein kleines Innenfach und außen ein kleines Sichtfenster für ein Namensschildchen.
Schöpferin dieser Figur und vieler Geschichten rund um Mumin, seine Familie und FreundInnen war die großartige finnische Künstlerin, Zeichnerin, Buchautorin und sehr selbstbestimmt lebende Tove Jansson (1914-2001, SF). Zwischen 1945 und 1970 kamen acht Mumin-Romane und ein Band mit Kurzgeschichten sowie fünf Bilderbücher heraus. Die BewohnerInnen des Mumintals sind bezaubernde Charaktere, auch wenn manche böse, griesgrämig oder unheimlich sind. Hier sind Mumin, Muminpapa, Muminmama, und – teilweise – das unsichtbare Mädchen zu sehen:
Einen Tove Jansson-Buchtipp für Erwachsene bringe ich hier noch an, Das Sommerbuch, 1972 erschienen: Ein kleines Mädchen verbringt wild und frei seinen Sommer auf einer finnischen Insel im Sommerhaus seiner gelegentlich ruppigen und etwas verschrobenen Großmutter. Beide reden nicht viel miteinander, verstehen sich aber durch ihre jeweilige Menschenkenntnis und Klugheit und sind einander natürlich innigst und respektvoll zugetan.
Astrid Lindgren (1907-2002, S) hat vieleKindercharaktere ersonnen, die in Buchhandlungen alleine schon einen Laufmeter unter der Rubrik „Kinderbuchklassiker“ füllen können, hier nur ein Auszug:
Von ihren Figuren ist die stärkste, wildeste, verwegenste und unkonventionellste aller kleinen Heldinnen weltberühmt, einer Pippi Langstrumpf kann so schnell niemand das Wasser reichen.
Ich empfehle übrigens, Pippi-Filme einmal im Original anzusehen, denn die schwedische Kleinmädchenstimme mit dem leichten S-Fehler ist bei weitem überzeugender und authentischer als die deutsche Synchronstimme. Zum Beispiel hier können Sie eine Probe aufs Exempel hören, wo Pippi ehrlich wie sie nun einmal ist (wenn sie nicht gerade von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang lügt) sagt: „Ich bin hier die einzige, die ungezogen ist“:
Pippi war Lindgrens erste Kinderbuchfigur. 1944 erdacht, wurden die Bücher ab 1945 vom schwedischen Verlag Rabén & Sjögren verlegt (nachdem der Konkurrent Bonnier das Manuskript abgelehnt hatte – irgend jemand wird sich dort vermutlich noch immer täglich über diese Entscheidung ärgern).
Aber nicht nur Lindgrens Mädchencharaktere waren wild und unbändig, auch ein paar Buben tollten ungestüm durch die Kinderbücherregale und in den Röhrenfernsehern. Einer davon hieß Emil, im deutschsprachigen Raum wurde wegen der Kästnerschen Konkurrenz durch „Emil und die Detektive“ ein Michel daraus. (Mit Verlaub, ich bleibe bei „Emil“ – der Name hat sich vor Jahrzehnten mit jeder – stilecht auf dem schwedischen Palisanderholz-Koffergrammophon meiner Mutter – abgespielten Rille meiner Kinder-LP „Emil i Lönneberga“ in mein Gedächtnis gegraben, das kriege ich nicht mehr weg.) Dieser Bub machte viele Dinge, die bei den Erwachsenen nicht immer auf Verständnis trafen. Seine Beweggründe waren aber meistens herzensgute. Astrid Lindgren spricht im Film die Erzählstimme und sagt gleich zu Anfang diesen verständnisvollen Satz: „Eine gute Sache mit Emil war, dass er immer alles untersuchen wollte – wie sonst sollte man jemals etwas auf dieser Welt erfahren?!“ Hier ist ein Stoff, auf dem einprägsame Momente seines abwechslungsreichen Lebens abgedruckt sind:
Etwa das Suppentopf-Debakel:
Wenn ihn der Vater nach einem schiefgegangenen Versuch, eigentlich etwas ganz anderes zu tun, in den Schuppen verbannte, und das Schnitzen von Holzfiguren dann doch langweilig wurde, büxte Emil halt aus:
Die Bücher um Emil erschienen ab 1963, die Geschichten spielten aber in der Zeit um 1900.
A propos Pippi und Wasser reichen: 1919 war ein schwedisches Kinderbuch mit einer kleinen Heldin erschienen, die ebenfalls das Herz am rechten Fleck und die Gedanken auf der Zunge trägt, sich auf Abenteuer einlässt, sich „unmädchenhaft“ kleidet und benimmt und sich für Schwächere einsetzt: En rackarunge (was so viel wie „Wildfang“ bedeutet):
Dieses unbändige Mädchen war ziemlich sicher (und literaturwissenschaftlich belegbar) eine Inspirationsquelle für Astrid Lindgren. Die Autorin hieß Ester Blenda Nordström (1891-1948, S), ihre Romanfigur Ann-Mari Lindelöf dürfte autobiographisch gewesen sein. Nordström selbst war ebenfalls abenteuerlustig und als eine der ersten investigativen Journalistinnen tätig.
Ein weiterer Held kleiner Kinder in Schweden ist die Comicfigur Bamse – världens starkaste och snällaste björn (Bamse – der stärkste und liebste Bär der Welt), hier auf einem Kinderteller von Höganäs abgebildet:
Kreiert von Rune Andréasson (1925-99, S) im Jahr 1966 und das Idol vieler kleiner Kinder mit großen Augen und roten Ohren, kombiniert hier eine Bärenfigur in blauer Latzhose (weniger Taschen, kein Reißverschluss) Stärke und Liebsein, also eine traditionellerweise als männlich und eine als weiblich konnotierte Qualität. Bamse wird stark, wenn er den Donnerhonig seiner Großmutter isst. Fallweise bekommt auch seine kleine Freundin Brummelisa Superkräfte durch den Honigkonsum. Bamse ist also so etwas wie der Asterix der Kleinkindercomics, außer dass er sich weniger prügelt und keine Wildschweine isst. Immer ist er auf der Seite der Schwächeren, er begegnet auch den „Bösen“ freundlich und ist der Meinung, dass alle schlechten Charaktereigenschaften in der Biographie der jeweiligen Figur begründet sind. Bamse und seinem Schöpfer Andréasson wurde schon „linke Gesinnung“ vorgeworfen, dabei ist der kleine Bär nur menschlich.
Gleichstellung der Geschlechter war vor einigen Jahrhunderten noch nicht das Thema, das es seit etlichen Jahrzehnten ist. Welche Rollenaufteilung bei den Wikingern herrschte, kann ich aus dem Stand nicht sagen. Die Wikingerkinder auf diesem Kinderstoff sind allerdings sympathisch geschlechtsneutral dargestellt:
Die Figuren sind nicht eindeutig als Mädchen oder Jungen erkennbar, es sind einfach Wikingerkinder und -teenager (der mit dem Bart):
Wer den Druck entworfen und produziert hat, ist mir nicht bekannt.
Weitere Kindertextilien werden hier vorgestellt.