Vor Kurzem präsentierten Katja und Werner Nussbaumer von werKnussbaumer ihre Möbel- und Leuchtenentwürfe an einem ganz besonderen Ort: in der Villa Beer im 13. Wiener Gemeindebezirk. Nur an diesem Tag, für vier Stunden, konnte die Präsentation besucht werden, und zu meiner großen Freude war ich eingeladen.
Die in den Jahren 1929-31 für das Ehepaar Margarete und Julius Beer erbaute Villa Beer stand nach einer bewegten Vergangenheit zuletzt fast 25 Jahre lang leer. Sie war ein Gemeinschaftsprojekt der beiden Architekten Josef Frank (1885-1967) und Oskar Wlach (1881-19963), bei Hedvig Hedqvist findet man Angaben zur Aufgabenverteilung: „Frank ist für die Ausformung der Gestaltung und der Raumaufteilung der 650 m² großen Villa auf drei Etagen verantwortlich und zeichnet sowohl die eingebaute als auch freistehende Einrichtung, und Wlach macht die Konstruktionen und die technischen Zeichnungen; jene Arbeitsaufteilung, die sie schon lange praktizieren und die ihre Zusammenarbeit vereint“(1).
1987 wurde die Villa unter Denkmalschutz gestellt, etliche der Originalmöbel wurden über die Jahre leider verkauft. 2021 erwarb Lothar Trier die Villa Beer und möchte sie ab Herbst 2022 behutsam restaurieren und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Begleitend dazu gibt es eine informative Website, wo Sie historische Details, Rückblicke und Perspektiven, und sehr viel schönes Bildmaterial seit der Erbauung des Hauses finden. Den Link finden Sie ganz unten bei den Literaturangaben.
Während der wenigen Stunden in dem Haus war ich in einem hin-und-weg-Zustand: Schon beim ersten Blick aus dem auffällig niedrigen Entrée – dem sogenannten Windfang – durch die zentrale Halle mit etwa 5 m Raumhöhe Richtung Fensternische überkam mich eine Art architekturinduziertes Wohlbehagen, ein unmittelbares Wohlbefinden. Ich kenne einige schöne und mit Bedacht gestaltete Häuser und Wohnungen, aber nicht oft überfällt mich deren wohltuende Gesamtkonzeption so eindrücklich und umfänglich in einer so intensiv beglückenden Raumwahrnehmung. (Meine innere Lektorin hat das Geschwurbel gestrichen, aber machen Sie selbst die Probe aufs Exempel: Niemand wird sich der Magie dieses Hauses entziehen können!):
Wegen meiner Entrückung, und auch wegen der nicht allerbesten Kamera meines Smartphones kann ich hier leider nur mittelmäßige Fotos bieten. Doch für einen Eindruck reicht es.
Aktuell sieht die straßenseitige Fassade so aus – im Wien der 1920er Jahre ein atemberaubend modernes, neu gedachtes Haus:
Zwei identische Gartentürchen führen jeweils über einen gepflasterten Weg zum Haus, linkerhand zum Haupteingang, der von der auskragenden Bibliothek sowie dem angrenzenden Teesalon (hinter dem runden Fenster) überdacht wird…
…und rechterhand zum Dienstboteneingang, dessen gewölbter Portalbogen ebenfalls einladend in das Haus leitet, zudem bei Regen vor dem Nasswerden während des Schirmaufspannens schützt:
Googles Street View zeigt: Noch vor zwei Jahren, im Juli 2019, herrschte im Garten deutlich mehr Wildnis als 2022, nachdem einige große und altersbedingt schon instabile Bäume gefällt werden mussten und allerhand Wucherndes, das die Strukturen verdeckt hatte, gerodet wurde. Von der Straße her war das Haus kaum zu sehen, so zugewachsen von Büschen und Sträuchern war der niedrige Metallzaun.
Man betritt das Haus, dessen gewaltige Kubatur auf 650 m² Wohnfläche sich von der Straßenseite gar nicht unmittelbar offenbart, über den erwähnten niedrigen Windfang:
Auf einer clever in die Steinfliesen eingelassenen, messinggefassten kreisrunden Kokosfasermatte putzt man sich den Stadtstaub von den Schuhen:
Nach dieser Schleuse zwischen drußen und drinnen kommt man rechterhand zu einem Vorraum mit großzügiger Garderobe:
Der Raum hinter der Wandgarderobe beherbergt ein Gäste-WC mit vorgelagertem Waschraum:
Vis à vis der schlichten Garderobe aus Messing ein großer Wandspiegel:
Bei aller Durchdachtheit dieser feinen Details ringen sie dennoch kaum jemandem ein „Ohhh!“ ab. Hingegen, wenn man die paar Schritte zurück geht Richtung Wohnräume…
…im Vorbeigehen nochmals in den halbblinden Spiegel im Vorraum blickt und ob der Unerbittlichkeit der Zeit gerade melancholisch werden möchte…
…biegt man so gestimmt in den Wohnbereich und wischt die Melancholie sofort beiseite. Man vergisst schlagartig, dass man schon ein Dach über dem Kopf hat und will sofort einziehen.
Der Stiegenaufgang linkerhand führt zum Wohnzimmer – en passant, muss man fast sagen, denn zum einen geht man zuerst ja einmal wie ferngesteuert an der Stiege vorbei, Richtung Fensternische mit diesen gewaltigen Scheiben auf drei Seiten, bis zur Decke, die irgendwo bei viereinhalb Metern Höhe über einem schwebt:
Unter den Fenstern laden rundumlaufende Sitzbänke zu Müßiggang ein.
Tisch und Stuhl wie auch alle anderen frei stehenden Möbel auf den Fotos sind von werKnussbaumer.
Wo war ich? Ach ja, bei der Stiege. Zum anderen bekommt man nämlich durch die erhöhte Lage einen schönen Blick über die zentrale Halle, die sich wie eine Piazza ausbreitet und in alle Richtungen offene Möglichkeiten anbietet, inklusive Ausgang in den Garten:
Rechts von der geöffneten Tür geht es ins Speisezimmer, auch das mit einem Ausgang in den Garten:
Ist es in der Fensternische zu kalt, was im Winter bei damaligen K-Werten von Fensterglas anzunehmen ist, sucht man sich gegenüber ein Plätzchen am Kamin unter der Musikgalerie – sicherlich der wärmste Platz im Erdgeschoß, wenn eingeheizt ist, und mit schönem Blick zur Fensternische:
Steht man oben am ersten Stiegenabsatz, öffnet sich das Wohnzimmer dem Blick: Große Raumhöhe auch hier, wenngleich etwas niedriger als im Speisezimmer…
…und eine riesiege Fensterfront…
…darunter zwei lange Radiatoren…
…und als wäre da nicht ohnehin schon genügend Offenheit und Tageslicht im Raum, an der gegenüberliegenden Wand noch ein französischer Balkon mit doppelflügeligen Fenstern, links davon ein Durchbruch zum nächsten Halbstock:
Von dort oben hat man einen schönen Blick hinunter ins Wohnzimmer, auch hier mit dem freundlichen Angebot, sich niederzulassen:
Vom Wohnzimmer führt eine Tür auf die Terrasse Nr. 1 (ja, es gibt mehrere), davor einige von Nussbaumers Stühlen in Kindergröße:
Auch im Wohnzimmer ist ein offener Kamin, die Wand dahinter sowie die Tür rechts davon dürften nachträglich eingebaut worden sein, wie der Vergleich mit dem Foto „Kamin im Wohnzimmer, 1931“ von Julius Scherb zeigt.
Eine schöne Lösung für eine vor Funkenflug schützende Kamin-Bodenplatte ist diese Einlegearbeit aus zweierlei Steinarten:
Nussbaumers Möbel zeichnen sich durch besondere handwerkliche Sorgfalt aus, und diese Sorgfalt findet man sogar bei den schön gemachten Miniaturen ihrer Möbel auf dem Kaminsims wieder:
Die noch vorhandenen Originalmöbel wurden für diese Präsentation verräumt. Schwarz-Weiß-Kopien alter Aufnahmen geben einen Eindruck von der ursprünglichen Möblierung:
So leer und quasi entblößt wie bei meinem Besuch war die Villa in bewohntem Zustand also nicht – Frank war ein Freund von Textilien, seine Entwürfe für Vorhänge, Möbelstoffe, Teppiche sind ja legendär.
Ein Teppichentwurf Franks für Haus und Garten aus der Entstehungszeit der Villa Beer wird im Ausstellungskatalog Josef Frank: Against Design auf S. 220 als „Knüpfteppich mit Pflastersteinmuster“ und der Backhausen-Nummer 10335-1927 geführt. 1996, zum 150jährigen Firmenjubiläum des schwedischen Textilunternehmens Almedahls, wurde u.a. eine Josef Frank-Collection gemeinsam mit dem Waldviertler Textilunternehmen Backhausen aufgelegt, eines der Dessins in kräftiger Baumwollqualität gleicht diesem „Pflastersteinmuster“ ganz augenfällig, ein Stück mit den Maßen 170 (L) x 145 cm (B) konnte ich auftreiben:
Das unten abgebildete Sideboard war bis vor Kurzem in der Ausstellung „Home-Stories“ im Möbelmuseum Wien zu sehen, wo die Villa Beer als ein Exempel für ein gelungenes Wohnkonzept mit einem großen Modell, Architekturzeichnungen, Fotos und einigen Möbeln vertreten war.
Trotz der verlockenden offenen Tür auf die Terrasse bleiben wir noch im Haus, wenden uns um und gehen wieder zur Stiege nach oben. Der Blick aus dem Wohnzimmer führt durch die Halle, mit der von einer Säule getragenen Musikgalerie im Blick und dahinter dem Eingang zum Speisezimmer:
Eine konsequente Reduktion der Materialien auf einige wenige, die sich dafür an vielerlei Stellen im Haus wiederholen, sorgt für ein stimmiges Gesamtbild. Auch für die Handläufe wurde Messing gewählt:
Die unterschiedlichen Raumhöhen, zusammen mit der in die oberen Zwischengeschoße und Stockwerke mäandernden Stiege, ermöglichen ständig neue Sichtachsen, Einblicke, Raumwahrnehmungen. Die aus dem Gebäude auskragenden Teile – Räume, Fenstererker, Balkone, Terrassen – geben dem Haus den Charakter eines nach und nach entstandenen Höhlensystems. Allerdings keinem verborgenen, unterirdischen, sondern einem, das sich gänzlich dem Tageslicht und dem Blick ins Freie hingibt.
Die unorthodoxe Stiege ist wie eine sich senkrecht in die Höhe schraubende Drehscheibe des Hauses, ein Verteiler, ein Spazierweg.
Zudem verleiht die Wendel dem ansonsten ganz klassisch mit rechteckigen Grundrissen arbeitenden Haus etwas Organisches, Weiches. Ebenso das große runde Fenster des Teesalons oder die Säulen, die sich auch im Freien als Balkonstützen wiederfinden.
Ich habe zwar einige Bücher zu Josef Frank, doch seinen Text Das Haus als Weg und Platz, der 1931 in der Fachzeitschrift Der Baumeister erschienen war, kannte ich noch nicht. Darin legt Frank aus, woran sich eine für ihn gelungene Wohnung orientieren sollte: An der Unregelmäßigkeit, und vor allem an einem Aufbau wie eine den natürlichen Bewegungsmustern und -bedürfnissen ihrer Bevölkerung entsprechende, organisch gewachsene Stadt. Und der Stiege wird große Bedeutung beigemessen:
„Das moderne Wohnhaus entstammt dem Bohèmeatelier im Mansardedach (…) das aus Zufällen aufgebaut ist (…) Große Räume, große Fenster, viele Ecken, krumme Wände, Stufen und Niveauunterschiede, Säulen und Balken, — kurz all die Vielfältigkeit, die wir im neuen Haus suchen, um der trostlosen Öde des rechteckigen Zimmers zu entgehen. (…) Ein gut organisiertes Haus ist wie eine Stadt anzulegen mit Straßen und Wegen, die zwangsläufig zu Plätzen führen, welche vom Verkehr ausgeschaltet sind, so daß man auf ihnen ausruhen kann. (…) Ich möchte als Beispiel ein sehr wichtiges Element in der Anlage des Hauses herausheben, die Stiege. Sie muß so geführt werden, daß man bis zu ihr und auf ihr niemals das Gefühl hat, einen Weg hin und zurück machen zu müssen; man soll immer weiter gehen (…) Der in Quadratmetern gemessene größte Wohnraum ist nicht immer der brauchbarste, der kürzeste Weg ist nicht immer der angenehmste und die gerade Stiege ist nicht immer die beste, sogar fast niemals. (…) im guten Wohnhaus gibt es keine Stelle, die nicht Wohnfläche ist.“
Diese Überzeugungen haben Frank und Wlach in der Villa Beer spürbar umgesetzt. Das Haus als Weg und Platz habe ich erst nach meinem Besuch der Villa gelesen, doch die Eindrücke von Plätzen und die vielen Einladungen zum Verweilen im Haus, sowie die Wichtigkeit der Stiege, waren vor Ort klar spürbar. Über letztere schreiben Mikael Bergqvist und Olof Michélsen: „Die zentrale Treppe im Haus Beer stellt ein wesentliches Element dar, wie Dynamik und Bewegung in diesem großen Haus in verschiedene Sequenzen aufgebrochen werden. Die Treppe wechselt Richtung und Form und verbindet alle verschiedenen Ebenen und Räumlichkeiten im öffentlichen Bereich.“(2)
Dass die Zimmer dann doch rechteckig ausgefallen sind, mindert die Wohnlichkeit keineswegs. Intime Nischen bieten Geborgenheit inmitten der Großzügigkeit der unteren Ebenen, Unvermutetes, das sich immer wieder hinter der nächsten Biegung auftut, sorgt beiläufig für Abwechslung.
Abwechslung war auch dem Ehepaar Beer wichtig: Sie waren musikalisch und luden gerne in ihr Haus. Die Galerie wurde „Musiksalon“ getauft, der Flügel steht wie der Kern des Hauses so zentral und unbehindert von Wänden, dass das Klavierspiel bei den Beer’schen musikalischen Soiréen in alle Richtungen tönen konnte:
Von diesem ersten Stiegenabsatz hat man wieder einen besonders schönen Blick Richtung Fensternische:
Geht man weiter hinauf, käme man in das sogenannte „Stockwerk“, zu dem diesmal aber kein Zutritt war – der wurde charmant durch kleine bunte Kinderstühlchen der Nussbaumers verstellt:
Der Blick von der Musikgalerie hinunter:
Der Blick von der Musikgalerie in das Wohnzimmer:
Aber im Ergeschoß warten ja noch einige schöne Einblicke, das Speisezimmer zum Beispiel:
Auch hier wieder eine enorme Fensterfront, die den Garten ins Innere holt:
In der Mitte der Einbau-Anrichte führt eine Tür in derselben Holzart zur Küche…
…deren Schranktüren mit Holzknäufen versehen wurden, die mit anderen freistehenden oder eingebauten Schrankmöbeln der Villa korrespondieren:
Man beachte, wie akkurat alle Schlitzschrauben in dieselbe Position gedreht wurden – ein kleines Indiz für sorgfältiges Handwerk.
Nun aber raus ins Freie! Schließlich führen fünf Türen aus dem Haus in den Vorgarten oder Garten, und zumindest vier auf all die Terrassen und Balkone.
Aus dem Wohnzimmer kommt man auf Terrasse Nr. 1:
Von dieser blickt man auf Nr. 2 und 3 in den oberen Geschoßen:
Große Markisen schützen vor der Mittagshitze:
Und auch ein Balkon spendet Schatten:
Im Gegensatz zum frei schwebenden Balkon am anderen Ende der gartenzugewandten Seite wird dieser hier von drei Säulen getragen:
Die Säulen als innen und außen wiederkehrendes Element verbinden das Drinnen und Draußen optisch.
Wandert man ein Stück nach hinten…
…entdeckt man mitten im lauschigen Grün einen kleinen, schon seit langem ungenützten Pool:
Ein altes Flugfoto gibt Aufschluss über die Position im Garten:
In der 3sat-Mediathek ist bis Ende Juni noch die schöne, kurze Dokumentation Josef Franks Villa Beer in Wien zu sehen, mit u.a. Lothar Trierenberg, dem neuen Besitzer und Mastermind hinter der geplanten Evolution des Hauses, Angelika Fitz, der Direktorin vom Arcitekturzentrum Wien und anderen in Bild und Ton.
Auch auf www.villabeer.wien gibt es einen kleinen Film, zudem findet man sehr viel Information über die Vergangenheit des Hauses und die beiden Architekten, und natürlich über die Intentionen damit.
Schön, dass diesem grandiosen Bau wieder neues Leben eingehaucht werden soll!
Literatur:
Website zu Status Quo und Entwicklung der Villa Beer seit dem Kauf 2021: https://www.villabeer.wien
Frank, Josef: Das Haus als Weg und Platz (erschienen in: Der Baumeister, Jahrgang 29, 1931, Heft 8, S. 316–323)
Hedqvist, Hedwig: Josef Frank (Orosdi-Back, 2013)
Zitat daraus:
(1) S. 30, Übersetzung des schwedischen Originals: Sandra Nalepka
Thun-Hohenstein, Christoph/ Czech, Hermann/ Hackenschmidt, Sebastian (Hg.): Josef Frank. Against Design. Das anti-formalistische Werk des Architekten. Katalog zu Ausstellung im MAK 2016 (Birkhäuser Verlag, 2016)
Zitat daraus:
(2) Mikael Bergquist und Olof Michélsen: Josef Frank: Spaces (S. 150)
Wängberg-Eriksson, Kristina: Pepis Flora. Josef Frank som mönsterkonstnär (Bokförlaget Signum, Lund 1998)