Derzeit entstehen allerorten kleinere Genossenschaften und erleben viel Zuspruch. Initiativen, die den Herstellungsprozess und den gesamten Weg bis zur EndverbraucherIn in der Hand haben, wirken wie etwas Neues, Ungewöhnliches, fast Subversives. Doch das war ja alles schon einmal da…
Foto: Maria Magnusson, Stockholms Stadsmuseum
Als Folge der Industrialisierung und der prekären Lebenssituation der Arbeiter-schaft entstanden ab Mitte des 19. Jahrhunderts solidarische Genossenschaften, die in eigenen Läden Produkte des täglichen Gebrauchs, v.a. Lebensmittel, zu geregelten und günstigen Preisen anboten. Die Mitglieder waren durch Rückvergütung an einem etwaigen Überschuss beteiligt. Solche Konsumge-nossenschaften gab es in Großbritannien, Japan, Dänemark, Schweden, Deutschland, der Schweiz und in vielen weiteren Staaten.
In Österreich kam es bereits 1852 zu den ersten Konsumgenossenschafts-gründungen. Der Erfolg hielt viele Jahrzehnte an, unterbrochen von den beiden Weltkriegen. In den 1960er Jahren begann der Abstieg, im Frühjahr 1995 wurde schließlich das Ausgleichsverfahren über den Konsum eröffnet. Im Sommer 2011 sperrte die letzte Konsumgenossenschaft im Salzkammergut endgültig zu.
1899 wurde in Schweden der Kooperativa Förbundet (Kooperativer Verband, kurz KF bzw. seit 2002 Coop) gegründet. Ziel war ein breites, günstiges und qualitäts-volles Sortiment, das von den Mitgliedsgenossenschaften in ihren kleineren Nahversorgerläden des täglichen Bedarfs (Coop Nära) bis hin zu eigenen großen Warenhäusern (Coop Forum / – Konsum / – Extra / – Bygg / OBS!) verkauft wurde. Gewinne wurden in den KF investiert, alles darüber hinaus wurde an die KundInnen, die Mitglieder waren, zurück gegeben. Der KF oder Konsum war damit quasi im Besitz der Konsumenten („konsumentägt“).
Hier ein älteres Werbesujet, in dem das Prinzip „Überschuss statt Gewinn“ erklärt wird: Mitglied werden, Kassabons sammeln, und in den Genuss des entsprechenden Anteils am Überschuss kommen:
Um nicht boykottierenden Maßnahmen durch Produzenten und Lieferanten ausgeliefert zu sein und das angestrebte Preisniveau bei gleichbleibend hoher Qualität zu halten, wurden Hersteller und Fabriken, Fleischereien, Mühlen, etc. gekauft oder gegründet. In den 1920er Jahren wurden eigene Marken geschaffen. Ende der 1970er Jahre wurde die Eigenmarke Blåvitt lanciert: Diese Produkte für den täglichen Bedarf waren besonders günstig, das blau-weiße Verpackungs-design war aus Kostengründen einfach gehalten, die Produkte hatten selbster-klärende Bezeichnungen – so hieß etwa die Zahncreme dieser Marke schlicht und einfach „tandkräm“ (Zahncreme). Bereits 1991 etablierte die Coop eine eigene Bio-Marke.
Die Coop-Läden ließen auch von Qualitätsherstellern produzieren. So gab es Gummistiefel und Autoreifen von Gislaved, Tisch- und Sanitärporzellan von Gustavsberg (die Porzellanfabrik ging 1937 in den Besitz des KF über), Meterware und Vorhänge der bekannten finnischen Textildesignerin Maija Isola (1927-2001, SF) für die schwedische Textilfirma Borås Wäfveri wie hier das Dessin Hundkex (Kerbel)…
…oder Göta Trägårdhs (1904-84, S) Dessin Sienna:
Vom bekannten Silberschmied und Industriedesigner Sigurd Persson (1914-2003, S) wurden Besteckentwürfe bestellt, etwa die Serie Servus, hier mit schwarzen Nylongriffen:
Wessen Design die einst in diesem Karton verkaufte Thermoskanne namens Gunda war, ist mir nicht bekannt:
Auch Gebrauchsglas wurde in Auftrag gegeben, etwa die mundgeblasene Glasserie Allglaset (Das Allglas) der Glashütte Skruf vom Produktdesigner Bengt Edenfalk (*1924, S), oder auch der Glashütte Johansfors wie hier als Beispiel die Schnapsgläser mit dem Namen Lilla Ett Glaset (Das kleine Ein Glas):
1931 startete der KF die Produktion eigener Glühlampen, die unter der Marken-bezeichnung LUMA verkauft wurden. Die Verkaufspreise der Glühlampen lagen mehr als 30% unter jenen des Glühlampenkartells, dem nichts anderes übrig blieb, als in der Preisgestaltung mitzuziehen.
Da der Import von fertigen Produkten billiger war als die Eigenproduktion, lief diese ab den 1970er/80er Jahren sukzessive aus.
Auch Verlage gehörten bald zum Kooperativen Verband. Der 1942 gegründete Verlag Rabén & Sjögren, der u.a. Astrid Lindgrens Bücher herausgab, wurde vom KF gekauft. Es folgten der Verlag Norstedts und die Buchhandelskette Akademibokhandeln.
Schon 1926 war in Stockholm der eigene Buchverlag Kooperativa förbundets bokförlag gegründet worden. Ökonomische und soziale Themen der frühesten Jahre wurden mit der Zeit durch politische, geschichtliche und gesellschafts-wissenschaftliche Themen ergänzt.
Carolina Söderhom schreibt in ihrem Buch Svenska Formgivare (S.198 ff):
„Von Anbeginn gingen der Wille zur Volksbildung und das Streben des Verbundes nach Stärkung der Rolle der KonsumentInnen in der Gesellschaft Hand in Hand. Studienkreise, Zeitschriften und Forschungsarbeit verbreiteten das Ideal des guten Konsumierens, das durch vernunftgeleitete Kaufentscheidungen, Abwägen des Nutzens und moralische Überlegungen geleitet war. (…) 1927 fand in Stockholm eine große kooperative Ausstellung für modernes Wohnen statt, die mit über 50000 BesucherInnen ein großer Erfolg war. Das zunehmende Interesse der Mitglieder für Einrichtungsfragen führte dazu, dass diesen Themen in der Verbandszeitung Konsumentbladet und in der Forschungsarbeit mehr Platz eingeräumt wurde. (…) Kunsthistoriker Gustaf Näsström schrieb 1935 in Konsumentbladet, wie wichtig es sei, dass KF als „Geschmackszüchter und Wegbereiter für gute und billige, demokratische Einrichtung“ vorangehe.“
Der KF baute auch eine eigene Möbellinie auf, für die namhafte Designerinnen und Designer engagiert wurden. Hier einige Abbildungen aus dem Buch von Berglund und Engdal mit Möbeln der KF-Reihe:
Der hier Poul Volther (1923-2001, DK) zugeschriebene Stuhl ähnelt sehr stark dem Stuhl Nr. 3250 von Børge Mogensen (1914-72, DK) für Frederica stolefabrik aus dem Jahr 1944. Volther und Mogensen waren beide für die dänische Genossen-schaft Fællesforeningen for Danmarks Brugsforeninger (FDB) tätig, Volther unter Mogensens Leitung ab 1949. Als Mogensen 1959 aufhörte, übernahm Volther die Leitung.
Auch von Mogensen gab es einen Stuhl im KF-Möbelsortiment, und die Vermutung liegt nahe, dass dieser Entwurf für die dänische Genossenschaft entstanden und von den schwedischen Kollegen übernommen worden war:
Von Sune Fromell stammen etliche schöne und praktische Entwürfe für den KF:
Sune Fromells Modulmöbel Växa med läxa (Mit den Aufgaben wachsen) waren nicht nur für Kinder, sondern praktischerweise mit zunehmender Körpergröße für alle Altersstufen geeignet:
Für kinderreiche Familien war Platz ein essenzielles Thema, und die kanadisch-schwedische Möbeldesignerin Sigrun Bülow-Hübe (1913-94) fand mit ihrem Tripp, Trapp, Trull-Bett für drei Kinder eine geniale Lösung:
Hier zwei Grafiken aus dem Buch von Lena Larsson und Elias Svedberg:
Bemerkenswert, dass Stühle so renommierter Hersteller bzw. Designer wie Fritz Hansen und Hans Wegner gemeinsam mit jenen von KF empfohlen wurden:
Dasselbe bei den Aufbewahrungsmöbeln: Schränke und Kommoden von Svenskt Tenn, Carl Malmsten (1888-1972, S), Yngve Ekström (1913-88, S) stehen hier Seite an Seite mit einem KF-Möbel:
Von 1924 an bis in die 1970er Jahre leistete sich der KF ein eigenes Architekturbüro KFAI mit bekannten Architekten wie z.B. Uno Åhrén (1897-1977, Architekt und Stadtplaner, Anhänger des Funktionalismus) oder Eskil Sundahl (1890-1974), die die Kaufläden, Supermärkte und Fabriken entwarfen. Unter Sundahls Leitung wurden zwischen 1924 und 1934 mehr als 1000 Geschäfte und deren Einrichtung entworfen, deren Stil ein zunehmend funktionalistischer war.
Auch eines der Wahrzeichen Stockholms, Katharinahissen, ist von KF erbaut worden – hier der Aufzug als Covermotiv des Konsum-Kalenders für das Jahr 1955:
Foto: Gustav Hansson
Und weil noch November ist, hier das schöne Foto für diesen nebeligen Monat:
Quellen:
Erik Berglund & Sten Engdal: Möbelråd (Svenska Slöjdföreningen form, 1961). Fotocredits: Keine Angaben dazu im Buch.
Lena Larsson & Elias Svedberg: Heminredning (Bokförlaget Forum AB, Stockholm, 1955). Fotocredits: Als Urheber aller Zeichnungen, Grafiken und Fotos werden im Impressum Torsten Johansson und Sven Engström angegeben.
Carolina Söderholm: Svenska Formgivara (Historiska Media, 2005)
http://www.handelnshistoria.se/handelsforetag/kf/konsumentkooperationen-ar-for-ar/#